Ah wieder eine Woche rum bekommen.
Es freut mich sehr zu sehen, dass diese Sache gut an kommt und ich danke allen für die netten Worte. Das mit den Fehlern tut mir leid, da hat Word mich wohl im Stich gelassen. Ich habe auch leider die Angewohnheit, Sachen unüberarbeitet zu presentieren. In einer ruhigen Minuten werd ich mich da mal ran setzen.
Noch ein Lob an alle beteiligten: Ich hab noch nie so detailreiche klare Kritik bekommen. Ich bin sonst nur Einzeiler gewohnt, nach dem Motto: "Geil, schreib weiter!" oder "gefällt mir nicht!" thx, dafür!
Und hier gehts weiter. Der Teil ist nicht so aufregend, denn ich wollte schnell in "meine" Wohnung, hatte aber das Gefühl, vorher noch etwas erzählen zu müssen...
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Es dauerte etwas, bis ich zu Hause angekommen war. Auf meinem Weg torkelte ich wie betrunken durch Gassen und Nebenstraßen. So sehr sich meine Motorik und mein Sinn für Gleichgewicht verschlechterten, so sehr besserte sich mein… ja, mein Sinn für das Lebendige. Vielleicht, so kam es mir in den Kopf, ging es auch mehr um das Tote. Ich meine, was ist schon Leben? Stehen wir nicht alle staunend vor dem Universum, uns selbst fragend, was wir alles nicht begreifen können?
Nein, nicht alle. Ich musste an die vielen Menschen denken. Verborgen hinter den Häuserwänden in ihren kleinen Wohnungen, eingepfercht in diesen Festungen der Ignoranz. Triste Fassaden einer Zivilisation, die auf Unwissenheit fußt. Diese Welt hatte schon so vieles gelernt und wieder vergessen, weil es zur Gewohnheit geworden war, einfach in die falsche Richtung zu blicken.
Als ich mich gedankenverloren an einer Backsteinmauer entlang tastete, kamen mir zwei Menschen entgegen. Ein Paar. Zwei glückliche Leben die sich gefunden hatten und nun romantisch durch die Nacht spazierten. Ich bemerkte sie erst relativ spät. Sie waren schon dabei die Straßenseite zu wechseln, als mein Blick sie streifte. Ich empfand sie als das typische Paar, dem Zeitgeist der Medien entsprechend. Sie waren beide sehr darauf konzentriert mich nicht anzusehen. Ich hätte wohl auch tot mit aufgerissenem Bauch und heraushängendem Gedärm hier an der Mauer liegen können, sie wären trotzdem weiter gegangen. Was man nicht sehen wollte war auch nicht da.
In gewisser Weise könnte ich ihnen ihr Glück. Als ich ihnen kurz hinterher sah, formte sich in meinen Gedanken das Bild der beiden. Ihr Alltag. Sie war zierlich, strahlte jedoch etwas freches aus, mit ihren Schulterlangen blonden Haaren und den verwaschenen engen Jeans. Sie war sicher sehr selbstbewusst, solange sie schön in ihrer eigenen Gesellschaftsschicht war. Unter Studenten die sich gebildet fühlten und sich gerne als verrückt sahen. Gerade so verrückt wie die Gesellschafft es ihnen erlaubte zu sein. Sie war denke ich mal bis zu einem gewissen Grad sehr emanzipiert. Das schätze ich sehr. Irgendwie habe ich ein Fable für starke Frauen.
Während ich mit der Emanze mehr als leben konnte stach er mir wie ein Dorn ins Auge. Metrosexuell. Muss ich dazu noch mehr sagen?
Aber ich gönnte es ihnen. Auch wenn meine Sicht und meine Wahrnehmung verschwommen war, so war mein Geist doch klar und ich hielt immer an meinem Motto fest. Leben und leben lassen. Und wieso eigentlich nicht? Sollten sie sich doch vor ihre Fernseher setzen und sich latenight talkshows ansehen, immer der Meinung das hätte mehr Niveau als deren Gegenstücke am Nachmittag, wo sich die letzten Harz4 Empfänger tummelten und über Nonsens redeten, als wäre es alles was zählte.
Sollten sie doch den verdammten Focus lesen anstatt der Bild. Ich hatte andere Probleme. Eins davon kündigte sich mit der schlaghaften Verkrampfung meines Magens an, und hatte sich schnell wieder erledigt, als ich seinen Inhalt gegen die Mauer gelehnt auf den Gehweg erbrach. Was für ein erleichterndes Gefühl. Irgendetwas sagte mir, dass es mich reinigte. Ich war tot und mein Körper machte Hausputz.
Als ich weiter ging wurde ich mir zum ersten Mal der Stimmen bewusst. Mir kam das Paar in den Sinn. Er musste mir etwas hinterher gerufen haben. Mistkerl. Wütend drehte ich mich um, und währe beinahe gestürzt, als die Welt sich so rasant um mich wandte. Kurz torkelte ich hin und her, fand wieder festen Stand und sah die Straße hinab. Die beiden waren schon überraschend weit weg. Ich sah ihre Konturen verschwommen in der Ferne durch die Lichtkegel der Straßenlaternen wandern. Konnten sie so schnell sein? Oder wahr ich einfach nur so langsam. Ich drehte mich erneut, diesmal vorsichtiger, und setzte meinen Weg fort.
Die Stimmen hallten in meiner Erinnerung nach. Zumindest kam es mir so vor. Ich hörte das Geflüster, aber verstand die Worte nicht. Mehrmals wurde es noch stärker und ich zweifelte daran, dass das Gehörte nur widerhall war.
Schließlich endete die Mauer und ich stieß mich von ihr ab. Ich torkelte über die Kreuzung und fand kurz wieder halt an einer Hauswand. Es dauerte noch ein paar Schritte bis mir auffiel, dass mein Kopf wieder frei von imaginären Gesprächen war. Ich hielt kurz inne und blickte über die Schulter zurück.
Der irre Gedanke, körperlose Stimmen hinter mir zu sehen muss mich dazu getrieben haben, aber da war nichts. Was hatte ich erwartet. Nur die leere Straße. Eine Pfütze Erbrochenes die in der Ferne vor sich hin dampfte. Und die Friedhofsmauer, an die ich mich gestützt hatte. Der Friedhof. Irgendwie lustig, das fiel mir erst jetzt auf. Die letzte Ruhestätte der Toten. Nicht meine.
Ich sah wieder nach vorne, und näherte mich Schritt für Schritt dem Ziel. Waren wir nicht eh alle von Anfang an zum Sterben verurteilt. War nicht jeder einzelne von uns „lebenden“ nur eine Totgeburt, die noch etwas vor hatte. Irgendwie waren wir doch alle Zombies. Und ich? Nun ja. In diesem Moment war ich nur eine weitere Leiche in dieser verdammten Stadt, die eigentlich nur nach Hause wollte.
Die Kreuzungen und Straßen schienen sich ewig zu ziehen. Jegliches Zeitgefühl war verschwunden. Es schien, als würde ich schon seit Stunden durch die Stadt irren, doch ich wusste, dass ich den richtigen Weg genommen hatte, ich hätte ihn blind laufen können. Bis heute weiß ich nicht, wie lange ich unterwegs war, aber ich tröste mich mit dem Gedanken, dass mein Zustand schlimmer war, als alle Besäufnisse meiner bisherigen Kneipenlaufbahn zusammen. Die Heimwege dauerten danach immer etwas länger…
Tröstend ist auch die Erinnerung, dass es noch dunkel war, als ich den Schlüssel ins Schloss der Haustür schob, wie auch immer mir das gelungen war. Ja es war sogar finster. Ich kann mich nicht entsinnen, je einen so schwarzen Himmel gesehen zu haben. Mondlos und Unheil verkündend. Mein Gott, was für eine trostlose Nacht.
Oh. Das G-Wort wollte ich mir eigentlich abgewöhnt haben. Das hat nichts mit Rebellion gegen die Kirche zu tun oder mit dem albernen Hollywood Gedankengut, dass der Name des Herrn den unheiligen Kreaturen in den Ohren schmerzt. Es kam auch nicht von meinem derzeitigen Zustand, welcher mich selbst wohl zu einer solchen Kreatur machte. Tatsächlich hatte es wohl doch schon etwas mit trotz zu tun. Aber gegen den schöpferischen Grundgedanken. Ich war einfach Atheist. Und ich war immer der Überzeugung dass man nicht mit Begriffen um sich schmeißen sollte, von denen man nichts verstand. Irgendwie dachte ich auch, dass man in diese alten, anerzogenen Redewendungen X-beliebige Götter und Hirngespinste einsetzen konnte. Jahwe. Allah. Weiß Shiva wen! Also, >Großer Chutulu, war das eine finstre Nacht!<
Aber ich neige wieder dazu ab zu schweifen. Vielleicht einfach nur deshalb, weil ich den Teil der Geschichte überspringen will, der sich auf das Treppenhaus bezieht. Auf das Bezwingen dieses Gebirges aus Fliesen und Holzgeländer, welches irgendein Witzbold in diese Haus gebaut hat. So kam es mir zumindest vor.
Ich weiß nicht wie oft ich stolperte und wie viele Nachbarn ich geweckt hatte, bis ich schließlich an meiner Tür war. Wieder erscheint es mir heute wie ein Wunder, dass ich dieses Schloss im dritten Stock des Altbaus öffnen konnte. Der Altbau, in den ich erst vor kurzem eingezogen war. Die erste eigene Wohnung. Etwas ganz besonderes. Ich stolperte durch den kahlen Flur, dessen Kalte Wände nur halb Tapeziert waren. Ich machte nur wenige Bahnen am Tag, bis ich die Lust daran verlor, oder zur Arbeit musste. Die Tür zum Badezimmer war offen und ich fiel mehr in den Raum, als dass ich ihn wirklich betrat. Ich schälte mich aus meinem Mantel und kroch zur Toilette. Dort übergab ich mich das zweite Mal. Diesmal wenigstens wie jemand halbwegs zivilisierter.
Das kalte Porzellan hatte eine beruhigende, fast hypnotische Wirkung, mal ganz abgesehen von den kleinen Brocken, die unter mir im Wasser schwammen. Ich hab sie noch genau vor Augen, denn mein Kopf hing nicht weit von ihnen entfernt. Als sich mein Magen erneut umdrehte und ich das dritte mal diese Nacht seinem Inhalt freie Bahn ließ, kam nur noch Galle aus mir heraus. Ich fühlte mich beruhigend leer und sank neben dem Klo zusammen. Mein letzter Gedanke war den grellen Farben und den stechenden Gerüchen gewidmet. Alles war so hell. Wann hatte ich das Licht an gemacht? Hatte ich den Schalter überhaupt berührt? Egal. Der Kopf sackte mir auf die Brust und so verweilte ich dort. Zumindest glaube ich das. Ich wusste in diesem Moment noch nicht, dass die nächsten zwanzig Stunden meines Lebens später einmal nur reine Spekulation sein würden.
Fortsetzung folgt...
mfg
Grave