Das Bildnis des Dorian Gray

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    • Das Bildnis des Dorian Gray

      >>Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr. Wer das Symbol entschlüsselt, tut es auf eigene Gefahr. In Wirklichkeit spiegelt die Kunst den Betrachter und nicht das Leben.<<
      Aus Oscar Wildes Vorrede zu "Das Bildnis des Dorian Gray"

      Um das ganze kurz einzuleiten. Nachdem ich in einem anderen Thread bereits begonnen habe dieses Thema mit dem lieben Onkel quigor zu diskutieren und diesen damit nicht vollspammen wollte, eröffne ich deses Thema, in dem es sich nur um den Roman von Oscar Wilde dreht.

      Kapitelweise wollen wir nun versuchen die Schuldfrage an Dorians Verfall und Tod zu ergründen.

      Ich beginne mit dem ersten Kapitel, da ich die Vorrede diesbezüglich nicht für relevant halte.

      1. Kapitel

      Hauptsächlich werden die Charaktere Basil Hallward und Lord Henry Wotton vorgestellt. Basil wird vorgestellt als der Typus des moralischen Menschen, der auch immer an das Gute im Menschen glaubt. Während Lord Henry den Typus des Dandy verkörpert, dem Schönheit und Genuss die einzigen wirklichen Werte sind.

      Basil betrachtet Dorian, der ihm Modell steht, als seine Muse, er scheint schon fast in ihn verliebt zu sein. Das geht so weit, dass er ihn nicht teilen möchte. Er empfindet sich als eine Art Seelenverwandten von Dorian.

      Lord Henry hingegen ist fasziniert von dessen Schönheit und Reinheit. Er scheint sehr angetan zu sein von der offensichtlichen Formbarkeit Dorians und sieht sich in der Position des Lehrmeisters.

      In gewisser Weise scheint das Schicksal der beiden Charaktere schon vorgezeichnet zu sein, Basil, der aufgrund seiner Äusserungen eher impressionistisch wirkt, wird den folgenden Ereignissen ausgeliefert sein. Lord Henry, mit seiner zynischen Art und vom dem Basil sagt, er sage nie etwas moralisches und tue nie etwas schlechtes, hat damit die Gabe Menschen zu vergiften.

      Doch trotzden, halte ich Lord Henry nicht für eine böse oder schlechte Person. Ich halte ihn nicht für primär verantwortlich für das, was die Leute aus seinen Worten, aus denen auch häufig Ironie spricht, machen. Ich denke, er will mit seinen Worten nie bezwecken dass eine Person etwas böses oder schlechtes tut, er will seinen Spaß, sein Vergnügen, an mehr liegt ihm nicht.
      Ex flammis orior

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Phönix ()

    • RE: Das Bildnis des Dorian Gray

      Original von Phönix
      >>Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr. Wer das Symbol entschlüsselt, tut es auf eigene Gefahr. In Wirklichkeit spiegelt die Kunst den Betrachter und nicht das Leben.<<
      Aus Oscar Wildes Vorrede zu "Das Bildnis des Dorian Gray"

      "In Wahrheit spiegelt die Kunst den Betrachter und nicht das Leben wider." Ebenfalls aus der Vorrede.

      Nachdem ich in einem anderen Thread bereits begonnen habe dieses Thema mit dem lieben Onkel quigor zu diskutieren und diesen damit nicht vollspammen wollte, eröffne ich deses Thema, in dem es sich nur um den Roman von Oscar Wilde dreht.

      Eine löbliche Vorgangsweise. Aber es wäre mir neu, daß meine Schwester einen Bastard geworfen hätte.

      Kapitelweise wollen wir nun versuchen die Schuldfrage an Dorians Verfall und Tod zu ergründen.

      Yep. Ich postuliere die Täterschaft Lord Henry´s. Und werde sie bereits im zweiten Kapitel beweisen. :D

      1. Kapitel

      Hauptsächlich werden die Charaktere Basil Hallward und Lord Henry Wotton vorgestellt. ...
      Basil wird vorgestellt als der Typus des moralischen Menschen, der auch immer an das Gute im Menschen glaubt. ...
      Basil betrachtet Dorian, der ihm Modell steht, als seine Muse, er scheint schon fast in ihn verliebt zu sein. Das geht so weit, dass er ihn nicht teilen möchte. Er empfindet sich als eine Art Seelenverwandten von Dorian.

      Basil hat in Dorian die Verkörperung seines Ideals gefunden: "ein Traum von Form in den Tagen des Denkens". Er schwärmt von der "Harmonie der Seele und des Körpers", von "Leidenschaft und Vollkommenheit". Er ist nicht "fast verliebt" in ihn - er ist rettungslos verliebt in ihn, er will ihn täglich sehen, seine körperliche (!) Nähe spürt er als "einen feinen Einfluß, der von ihm zu mir ging" und der ihn die Schönheit der Welt sehen - und malen läßt (er führt die Waldlandschaft als Beispiel an). Woran erinnert Dich diese Beschreibung? Das ist die klassische Sichtweise eines Verliebten.
      Und diese Liebe will er schützen: Indem er das Bild nicht ausstellen will ("ich will meine Seele den oberflächlichen, spähenden Augen der Welt nicht entblößen", "er (Dorian) soll nie davon wissen") - und indem er Dorian Henry´s Einfluß nicht aussetzen will.
      Aber erst, als er Henry ausdrücklich bittet: "Entreiß mir nicht den einzigen Menschen, der meiner Kunst allen Zauber gibt, den sie besitzt: Mein Leben als Künstler hängt davon ab!" wird es für Henry wirklich interessant - denn hier sind die Emotionen, mit denen er so gerne spielt...

      Während Lord Henry den Typus des Dandy verkörpert, dem Schönheit und Genuss die einzigen wirklichen Werte sind. ...
      Lord Henry, mit seiner zynischen Art und vom dem Basil sagt, er sage nie etwas moralisches und tue nie etwas schlechtes, hat damit die Gabe Menschen zu vergiften.

      Lord Henry ist ein Intellektueller - und ein Zyniker. Und damit entlarvt er sich als einen Menschen, der seine Ansprüche zumindest vordergründig aufgegeben hat, weil seine Hoffnung auf ihre Durchsetzbarkeit enttäuscht wurde. Bei aller vorgeblichen Leichtigkeit und Nonchalance - das macht bitter.
      Als Intellektueller entwickelt er Konzepte zur Lebensgestaltung - denen er selbst ambivalent gegenübersteht. Und er hütet sich davor, sie selbst mit allen Konsequenzen umzusetzen. Nein, er betrachtet sein persönliches Umfeld als eine einzige potentielle Versuchsanordnung, ein großes Labor, in dem er Verhaltensweisen beobachtet, möglichst gezielte Reize setzt und die Reaktionen darauf verfolgt. "Wie reizend waren die Empfindungen anderer Leute! - viel reizender als ihre Ideen, schien es ihm. Des Menschen eigene Seele und die Leidenschaften seiner Freunde - das waren im Leben die fesselnden Dinge" - denn sein Feind ist die Langeweile.

      Um es noch einmal deutlich zu sagen: Basil ist derjenige, der zu seinen Werten, seinen Idealen, steht, sie bisher bewahrt hat und weiter bewahren will. Mehr noch: Er will sie "schaffen", ihnen Leben geben - er ist der Künstler, der Kreative.
      Henry hingegen hat in diesem Kampf verloren - er fühlt sich verletzt von einer Welt, die seinen Wertansprüchen nicht genügt hat, und er hat die Hoffnung aufgegeben, dies könne sich jemals ändern. Sowohl bezüglich der Emotionen, die er nicht zu haben wagt, als auch bezüglich der Realisierung jener Anschauungen, die er selbst lieber nicht verwirklichen will, ist er auf andere angewiesen.
      Wie nah diese zwei nebeneinanderliegen, sagt Wilde selbst in einem Brief von 1894: "Basil Hallward ist das, wofür ich mich halte. Lord Henry das, wofür die Welt mich hält.
      Dorian das, was ich gern sein möchte - in fernen Tagen, vielleicht."
      Irgendwie beklemmend, nicht wahr? Homosexualität war damals klar ein strafrechtlicher Tatbestand - und gesellschaftlich tabuisiert.

      Lord Henry hingegen ist fasziniert von dessen Schönheit und Reinheit. Er scheint sehr angetan zu sein von der offensichtlichen Formbarkeit Dorians und sieht sich in der Position des Lehrmeisters.

      Nicht im ersten Kapitel. Da nimmt er die Schönheit des Bildes eher gelangweilt zur Kenntnis ("Es ist deine beste Arbeit, Basil, das Beste, was du je gemacht hast", sagte Lord Henry mit müder Stimme.) und entwickelt erst wegen Basils´s emotionaler Verstrickung, die sich zunehmend offenbart, echtes Interesse.

      In gewisser Weise scheint das Schicksal der beiden Charaktere schon vorgezeichnet zu sein

      Mhm. Basil "besitzt" etwas, das ihm sehr kostbar ist, und Henry wird versuchen, es ihm wegzunehmen.

      Doch trotzden, halte ich Lord Henry nicht für eine böse oder schlechte Person.

      Ach nein, aber nicht doch. :rolleyes: Es hat schon immer zu den Gesetzen guter Freundschaft gehört, dem Freund nicht nur zerstören zu wollen, WAS er als lebenswichtig betrachtet, sondern vor allem, WEIL er es als lebensnotwendig betrachtet. Nicht wahr? :P

      Ich halte ihn nicht für primär verantwortlich für das, was die Leute aus seinen Worten, aus denen auch häufig Ironie spricht, machen. Ich denke, er will mit seinen Worten nie bezwecken dass eine Person etwas böses oder schlechtes tut, er will seinen Spaß, sein Vergnügen, an mehr liegt ihm nicht.

      Letzteres ist richtig: Henry will seinen Spaß - mit seinen "Laborratten". Vergiß nicht: "die eigene Seele" und "die Leidenschaften seiner Freunde"...
      Was er mit seinen Worten im zweiten Kapitel bezweckt, werden wir bald sehen.
      Homo est Deus
      utrolibet.de
    • 2. Kapitel

      Hier lernt Henry nun Dorian kennen, und er findet ihn "bildschön" und "unbefleckt vor der Welt".
      Und schon nach wenigen einleitenden Worten schießt er seinen ersten Pfeil ab: "Sie sind zu hübsch, um sich mit Wohltätigkeit zu befassen, Mr. Gray - viel zu hübsch."
      Der gute Basil, der genau weiß, in welche Richtung das gehen soll, bittet Henry daraufhin, zu gehen, da er das Bild ungestört fertig malen will.
      "Lord Henry lächelte und schaute Dorian Gray an. "Soll ich gehen, Mr. Gray?" fragte er."
      Surprise, Dorian will nicht, daß er geht, er möchte erklärt bekommen, was der komische Satz mit der Wohltätigkeit bedeuten soll. Und jetzt sieht Henry die Gelegenheit, sich seine "Einladung" zu holen (ihr kennt doch die Vampirgeschichte: Beim ersten Mal muß der Vampir von seinem Opfer eingelassen werden - danach ist der Zutritt für ihn immer frei..): Er tut so, als hätte er eine Verabredung.. und es funktioniert, natürlich funktioniert es! Dorian besteht darauf, daß Henry bleibt, weil er sonst auch geht. Hier liegt also die Entscheidung des Jungen für Henry und gegen Basil - hat er gut gemacht, der noble Lord Henry, der so gerne mit den Emotionen seiner Freunde spielt, ganz klar 1 : 0 für ihn. Und - wer hätte das gedacht - er läßt sich tatsächlich bitten, zu bleiben...

      Nach dieser seltsamen Interaktion zwischen Henry und Basil will Dorian es jetzt wissen: "Üben sie wirklich einen sehr schlechten Einfluß aus, Lord Henry? So schlecht, wie Basil sagt?"
      Die Antwort Henry´s ist genial, er kehrt den Spieß, um attackiert das "Gute" und greift dabei tief in Dorian hinein, bringt die Saiten des Ego zum Schwingen: "So etwas wie guten Einfluß gibt es nicht, Mr. Gray. Jeder Einfluß ist unmoralisch.. Weil, wer einen Menschen beeinflußt, ihm seine eigene Seele gibt. Er denkt nicht seine natürlichen Gedanken und glüht nicht in seinem natürlichen Feuer. Seine Tugenden gehören nicht wirklich ihm. Seine Sünden, wenn es so etwas wie Sünden gibt, sind geborgte. Er wird ein Echo... Das Ziel des Lebens ist Selbstentfaltung. Seine eigene Natur vollkommen zu verwirklichen - dafür ist jeder von uns da. Die Menschen heutzutage haben Angst vor sich selbst. Sie haben die höchste aller Pflichten vergessen, die Pflicht, die man sich selbst gegenüber hat. Natürlich sind sie wohltätig. ... Aber ihre eigenen Seelen sterben Hungers und sind nackt. Der MUT ist unserem Geschlecht verloren gegangen. ... wenn ein einziger Mensch sein Leben völlig und ganz ausleben wollte, jeder Empfindung Form, jedem Gedanken Ausdruck, jedem Traum Wirklichkeit geben wollte... Jeder Trieb, den wir ersticken möchten, wühlt sich im Geiste fort und vergiftet uns. ... Der einzige Weg, eine Versuchung loszuwerden, ist, ihr nachzugeben. Widerstehe ihr, und deine Seele wird krank vor Sehnsucht... Sie, Mr. Gray, sie selber.. haben Leidenschaften gehabt, die ihnen bange machten, Gedanken, die sie in Schrecken versetzten, Träume bei Tag und Träume im Schlaf, die, wenn sie nur daran denken, das Blut der Scham in ihre Wangen jagen..."
      Volltreffer! Wer weiß, daß ich in der Nacht schon in meine Bettwäsche gekommen bin, und solch aufrührerische Gedanken über glühende Feuer, Tugenden, die gegen die höchsten Pflichten verstoßen, die Sehnsucht der Seele und die Leidenschaften in bestechender Logik formulieren kann, muß ja die Weisheit mit Löffeln gefressen haben: Dorian bittet um eine Pause, "mir wird wirr von ihren Reden". Er bemerkt sehr wohl, daß er beeinflußt wurde - aber viel stärker nimmt er die Resonanz in sich wahr, "als ob es in Wahrheit aus ihm selbst käme". Erregend, diese Worte, er sieht das Leben jetzt anders...

      "Mit seinem hintergründigen Lächeln beobachtet ihn Lord Henry. ... Er hatte nur einen Pfeil in die Luft geschossen. Hatte er ins Schwarze getroffen?"
      Yep. Dorian will in den Garten - er findet die Luft im Zimmer plötzlich zum Ersticken.
      Und natürlich geht Henry ihm nach...

      Er findet ihn mit dem Gesicht in einer Fliederdolde und legt ihm die Hand auf die Schulter (Distanz verringern.. :( "Sie tun ganz recht daran, es so zu machen. Nichts kann die Seele heilen als die Sinne, gerade wie nichts die Sinne heilen kann als die Seele." Und gleich noch einmal (denn das ist ein wichtiger Teil der Botschaft!): "Ja, das ist eins der großen Geheimnisse des Lebens: die Seele durch die Sinne, und die Sinne durch die Seele zu heilen."
      Dorian fürchtet sich vor Henry, aber er findet ihn auch faszinierend und attraktiv (die perfekte Kombination, wenn man manipulieren will).

      Und Henry geht in die nächste Runde: Er spricht ihn auf seine Schönheit an. Dorian darauf: "Was bedeutet das schon?" Henry´s Antwort: "Es sollte ihnen alles bedeuten, Mr. Gray."
      Auf Dorian´s Frage: "Wieso?" kommt die Antwort: "Weil Sie die entzückendste Jugend haben, und Jugend ist das einzige, was zu besitzen sich lohnt."
      Hübsch hat er die Kurve genommen zu einem "Gut", das er als höchsten Wert postuliert und dessen Verlust gesichert ist, nicht wahr? Nachdem Dorian beteuert, daß er das nicht empfindet, beginnt Henry nun plastisch - und äußerst drastisch - zu beschreiben, wie das Leben seine Schönheit verwüsten wird, welche Auswirkungen das haben wird, um danach sofort wieder ein Loblied auf die Schönheit im allgemeinen und Dorian´s Schönheit im besonderen zu singen. Dieses Prinzip des Wechselduschens setzt er fort, er gibt ihm warm / kalt. Er macht ihm Angst - und er zeigt ihm den Weg: "Nutzen Sie ihre Jugend, solange Sie sie haben! Vergeuden Sie nicht das Gold ihrer Tage, leihen sie den Langweiligen kein Ohr, versuchen Sie nicht, das Los derer, deren Existenz hoffnungslos verfehlt ist, zu verbessern, geben Sie ihr Leben nicht an die Unwissenden, die Gemeinen, die Gewöhnlichen hin! Das sind die krankhaften Ziele, die falschen Ideale unserer Zeit. Leben Sie! Leben Sie das wundervolle Leben, das in Ihnen ist! Lassen Sie nichts für Sie verloren sein! Seien Sie immer auf der Suche nach neuen Erlebnissen für Ihre Sinne! Fürchten Sie nichts! .... Bei Ihrer Erscheinung gibt es nichts, was Sie nicht tun könnten. Die Welt gehört einen Sommer lang Ihnen..." Danach folgt wieder ein memento mori, und dann der Abschluß: "Wir verfallen und werden häßliche Puppen, und die Erinnerungen an die Leidenschaften verfolgen uns, vor denen wir zurückschreckten, und an die köstlichen Versuchungen, denen zu erliegen wir nicht den Mut hatten. Jugend! Jugend! Es gibt gar nichts in der Welt als Jugend."

      Alles, was Dorian jemals tun wird, ist vorgezeichnet in diesen Worten. Und Henry´s Worte "sitzen", er hat seinen Mephisto-Walzer auf der Klaviatur von Dorian´s tiefsten menschlichen Träumen und Ängsten virtuos gespielt.
      Er will nun den "Pakt" besiegeln: Unvermittelt fragt er Dorian: "Sie freuen sich, daß Sie mich kennengelernt haben, Mr. Gray?" Die Antwort ist: "Ja, ich freue mich jetzt. Ich weiß nicht, ob ich mich immer freuen werde." Das genügt Henry nicht... "Immer! Das ist ein schreckliches Wort. ... Es ist zudem ein sinnloses Wort. Der einzige Unterschied zwischen einer Laune und einer lebenslänglichen Leidenschaft ist, daß die Laune etwas länger dauert." Und jetzt "unterschreibt" Dorian: "Dann soll unsere Freundschaft eine Laune sein."

      Basil vollendet nun sein Bild. Als Dorian (der es eigentlich schon gut kennt) es nun - nach Henry´s Worten! - betrachtet, sieht er es erstmals mit anderen Augen: "Der Eindruck seiner eigenen Schönheit kam wie eine Offenbarung über ihn. Er hatte ihn nie zuvor gehabt." Bis jetzt hat er über Komplimente gelacht, sie haben ihm nichts bedeutet. Aber jetzt ist alles anders, denn Henry hat ihm Besitz (von Schönheit und Jugend) und Leben wertvoll gemacht, indem er ihm den Verlust und den Tod gezeigt hat: "Als er daran dachte, durchfuhr ihn ein stechender Schmerz wie ein Messer, ... Er hatte das Gefühl, es lege sich eine eisige Hand auf sein Herz."
      Aus diesem Schmerz über seinen sicheren Untergang kommt nun seine Klage, die im klassischen Teufelspakt endet: "Wie traurig ist das! Ich werde alt und häßlich und widerwärtig werden, aber dieses Bild wird immer jung bleiben. Es wird nie älter sein als dieser Junitag heute. Wenn es nur umgekehrt wäre! Wenn ich immer jung bleiben könnte und dafür das Bild immer älter würde! Dafür - dafür - dafür gäbe ich alles! Ja, es gibt nichts in der ganzen Welt, was ich nicht dafür gäbe! Ich gäbe meine Seele dafür!"

      Das Kapitel ist damit noch nicht zu Ende (Basil verliert neuerlich gegen Henry), aber alles Wesentliche ist geschehen. Dorian ist auf das große Rad seiner Ängste und Begierden gestiegen, zu dem Henry ihn so wohlberechnend geleitet hat, und er wird dort gefesselt bleiben, während es sich unerbittlich drehen wird - bis zu seinem gewaltsamen Tod.

      Henry ist verantwortlich für Dorian´s "Sündenfall" und seinen Gang in die Hölle.

      Nun, Phönix, was hast Du zur Verteidigung Deines lieben Harry vorzubringen? :D
      Homo est Deus
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      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von quigor ()

    • Sorry das ich jetzt so dazwischen blubbere, aber ich hatte neulich mal etwas über dieses Buch gelesen und ich habe mir überlegt ob ich es mal lesen soll.

      Nach dem was ich hier so darüber erfahren habe ist es sicher sehr interessant zu lesen.

      Macht weiter so
      Knochen sind sauber und pur. Fett ist dreckig und hängt an deinen Knochen wie ein Parasit!!!
    • Hi, Ana!

      Nix sorry - erstens bist Du herzlich willkommen, und zweitens hast Du ja nicht einmal gespammt! :)

      Dieses Buch solltest Du unbedingt lesen, es ist nicht nur interessant, sondern auch sehr gefällig geschrieben - es liest sich schnell und leicht.

      Ich bin eigentlich sehr verwundert, daß es nicht jeder Teenager gelesen hat, in den 70ern hat das jeder Youngster gekannt, der des Lesens überhaupt mächtig war... und jetzt würde ich am liebsten eine Umfrage starten, wer es überhaupt kennt, denn ich bekomme immer mehr den Eindruck, daß es nicht allzu viele sein können: Gerade die Frage, wer denn nun der eigentliche "Bösewicht" in der Geschichte ist (auch Basil stünde übrigens zur Wahl!), ist nämlich eine ausgesprochen polarisierende, aber hier scheint es kein Schwein zu interessieren. Seltsam. :think:
      Homo est Deus
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    • So, ich habs versprochen und nur noch eine Stunde Zeit zur Erfuellung. Zwischendurch ist auch noch mein Browser abgeschmiert (zu viele Tasten auf einmal druecken ist nicht gut... :P )

      Die Einfuehrung in das zweite Kapitel erscheint mir fast schon trivial. Obwohl zu dieser Zeit sicherlich unueblich, weicht sie nicht von der bereits gezeigten Gespraechsfuehrung Henrys ab. Es ist lediglich erstaunlich, dass der Lord sofort die Aufmerksamkeit auf sich zentriert, eine sicher nicht zufaellige Erscheinung. Bemerkenswert ist seine Art, "das Eis zu brechen": "When Aunt Agatha sits down to the piano she makes quite enough sound for two people" ist auch ein fuer die Zeit arg strapazierender, aber zum henryschen Zynismus durchaus passende Bemerkung, die wohl nur in Ermanglung der Tante gluecklich verlaeuft.

      Bei der folgenden Konversation muss ich dir, quigor, Recht geben. Henry schiesst eindeutig Richtung Dorian, allerdings sucht er sichtlich einen Anker. Von Wilde gefuehrt, verfaengt allerdings der erste Schuss. Die von dir angesprochene Tour, sich danach "You are very pressing, Basil, but i'm afraid i must go" so durchsichtig die Befriedigung zu holen, ist fuer mich allerdings kein Schachzug, sondern lediglich der kindische Instinkt Lord Henrys. Er will spielen, er will gewinnen. Fuer mich ist seine so dahingeworfene Erlaeuterung zur Natur des Menschen "the aim of life is selfdevelopment" eine Bankrotterklaerung an seine eigenen Ziele. Denn als selbstverwirklicht kann man diese Spielerei mit "untouched souls" wohl nicht betrachten.
      Seine Betrachtung "Every impulse that we strive to strangle broods in the mind, and poisons us.[...] The only way to get rid of a temptation is to yield to it" ist sicherlich wertvoll, beschreibt sie doch den weiteren Handlungsverlauf so treffend. Dieses Problem wird Dorian verfolgen, mit der Erkenntnis in die eigene Sterblichkeit stuerzt er in ein Loch.
      Dorian erkennt wohl das Problem, das da auf ihn zukommt. Du zitierst ihn selbst mit "stop! you bewilder me. I don't know what to say[...]". Mit dem Instinkt der Angst laeuft er vor dem weg, was ihm als neu und bedrohlich begegnet. Allerdings muss ich darauf aufmerksam machen, dass Henry von der Wirkung seiner Probe durchaus erstaunt ist: "He felt intensely interested. He was amazed at the sudden impression that his words had produced, [...] he wondered whether Dorian Gray was passing through a similar experience". Er erinnert sich hier an ein Buch, das er mit 16 las. Diese Gefuehle des Entdeckens sind Henry nicht fremd, du schreibst richtig, er sei enttaeuscht worden. Sein Leben ist langweilig geworden, ohne Ziel, ohne Streben als der momentanen Sensation. Henry erkennt womoeglich sich selbst, seine Jugend. Jedenfalls ist er fasziniert von diesem jungen Mann: "How fascinating the lad was!" Im Gegensatz zu dir sehe ich dies jedoch nicht als geplantes Experiment, ueber das Henry lediglich Protokoll fuehrt. Er ist Teil seiner eigenen Kuriositaet und beruecksichtigt die Folgen fuer andere einfach nicht (fairerweise: wohl auch fuer sich selbst nicht). Nach Schopenhauer: ein purer Egoist.
      Dorian scheint gierig diese neuen Einfluesse einzusaugen, geradezu symboltraechtig, wie er den Duft der Blueten einzieht. In diesem Zustand hoert er wohl auch sehr selektiv zu: "Nothing can cure the soul but the senses, just as nothing can cure the senses as the soul". Nun, er hat aus meiner Sicht nicht uneingeschraenkt Recht. Aber das ist unwichtig: Dorian ignoriert den zweiten Teil schlichtweg, sein Lebensweg wird schon gegen Ende des Kapitels deutlich als Sklave der Sinne gezeichnet. Bis es soweit ist, implantiert ihm Henry geradezu ein Bild seiner eigenen Vergaenglichkeit. Virtuos, das gesteht sicherlich jeder, weckt er die Aengste des Juenglings vor seinem Alter und rueckt es ihm erstmals vor das geiste Auge - in den schwaerzesten Farben. Der Klimax schliesslich bei seinem Ausruf: "Youth! Youth! There is absolutely nothing in the world but youth!". Spricht hier nicht auch die Sehnsucht eines Mannes, der nach seiner eigenen Definition zu viel weiss?
      Die Folgen sind unausweichlich: Dorian steht vor seinem Portrait und das erste Mal befaellt ihn die Realisation seiner Schoenheit und damit auch deren Vergaenglichkeit. Den Schock wird jeder irgendwann mal erleben. Dorians absolutes Pech ist seine Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt. Basil versteht so viel von den Tuecken der jugendlichen Psyche wie Lord Henry vom Malen. Und der Einzige, der wirklich dagegen halten koennte ist viel zu sehr an dem nun folgenden interessiert, als dass er eingreift - Lord Henrys einzigartige Zeile "That's the real Dorian Grey - that's all"
      In den folgenden Zeilen zerbricht Basil merklich - mit einem Schlag realisiert er, dass er 'verloren' hat. Er will sein Lebenswerk zerstoeren, um wenigstens nicht sein Leben - seinen Dorian - zu verlieren. Hier haette Wilde nach 37 Seiten Schluss machen koennen, doch Dorian faellt ihm in den Arm - sich selbst auf der Leinwand zu toeten wuerde sein neuerwachtes Ego wohl nicht ueberstehen. Basil bittet, ich lese da den Kloss im Hals regelrecht mit, zum (letzten?) Tee, dem Ende des Kapitels. Hier ist klar: Basil hat seine letzte Chance verpasst, Henry hat sein Spiel und Dorian sein Leben.

      Alle drei werden sich letztlich zum Verhaengnis. Ich finde es schwierig, hier einer Person die 'Schuld' an Dorians Geschick zuzuweisen. Denn Basil haette konsequent nach seiner Erkenntnis handeln koennen, Dorians Portrait vernichtet heisst auch (wie am Ende) sein Ego vernichtet. Henrys Rolle ist klar als die eines amuesierten und spielerischen Experimentators. Aber IMHO ueberrascht in die Wucht seines Erfolgs selbst. Dorian zum Schluss springt auf den Zug nur zu bereitwillig auf. Er hat weder die Kraft noch den Willen, ein zweites Mal zu fliehen. Unerfahren wie er ist, fuegt er sich willig der Interpretation Henrys, deren existente Antiposition er "there is some answer to you, but i cannot find it" schlichtweg nicht artikulieren kann.

      Ich bin auf die naechsten Kapitel gespannt (leider 23 Minuten ueberzogen)
    • Ich stelle mit Entzücken fest, daß Du Dich zwar in Deinem letzten Absatz davon distanzieren willst ("Ich finde es schwierig, hier einer Person die 'Schuld' an Dorians Geschick zuzuweisen."), bis dahin aber gewohnt eloquent meine These von der Schuld Henry´s absolut unterstützt... nun, so schwierig scheinst Du es doch gar nicht gefunden zu haben? :D

      Original von MoD3000
      zu viele Tasten auf einmal druecken ist nicht gut... :P

      Wem sagst Du das! Dann passieren auf einmal Dinge, von denen man vorher nicht einmal wußte, daß sie möglich sind.

      Es ist lediglich erstaunlich, dass der Lord sofort die Aufmerksamkeit auf sich zentriert, eine sicher nicht zufaellige Erscheinung. Bemerkenswert ist seine Art, "das Eis zu brechen": "When Aunt Agatha sits down to the piano she makes quite enough sound for two people" ist auch ein fuer die Zeit arg strapazierender, aber zum henryschen Zynismus durchaus passende Bemerkung, die wohl nur in Ermanglung der Tante gluecklich verlaeuft.

      Erstaunlich? Nein, es ist glaube ich sein üblicher Weg, sich "vorzustellen".
      Und der kleine Hieb auf die liebe Tante: Zweideutig genug, daß man darüber lachen kann, aber nicht so eindeutig beleidigend, daß die Aggression unverhüllt rüberkäme - und abschrecken könnte, gerade in der Identifikation mit der Botschaft. Das macht er schon gut.

      Bei der folgenden Konversation muss ich dir, quigor, Recht geben.

      Welch erhebender Moment für mich! O wundere Dich nicht, wenn ich dieses goldene Zitat öfter mal poste...

      Henry schiesst eindeutig Richtung Dorian, allerdings sucht er sichtlich einen Anker. Von Wilde gefuehrt, verfaengt allerdings der erste Schuss.

      Yep, er schießt ins Blaue - aber er schießt!

      Die von dir angesprochene Tour, sich danach "You are very pressing, Basil, but i'm afraid i must go" so durchsichtig die Befriedigung zu holen, ist fuer mich allerdings kein Schachzug, sondern lediglich der kindische Instinkt Lord Henrys. Er will spielen, er will gewinnen.

      Nein, Matti, ich glaube wirklich, daß hier das Motiv des aktiv Eingeladen-werdens eine Rolle spielt - das macht nämlich tatsächlich einen Unterschied in der Psyche dessen, der einlädt, er hat aktiv "ja" zu Dir gesagt, und damit öffnet er sich unwillkürlich.
      Das ist ein guter alter Trick, ich habe das auch oft gemacht, wenn ich vorhatte, jemanden "einzucashen", über den Tisch zu ziehen.

      Mit dem, was Du danach schreibst, bin ich absolut d´accord.

      ... He was amazed at the sudden impression that his words had produced, [...] he wondered whether Dorian Gray was passing through a similar experience". Er erinnert sich hier an ein Buch, das er mit 16 las. Diese Gefuehle des Entdeckens sind Henry nicht fremd, du schreibst richtig, er sei enttaeuscht worden. Sein Leben ist langweilig geworden, ohne Ziel, ohne Streben als der momentanen Sensation. Henry erkennt womoeglich sich selbst, seine Jugend. Jedenfalls ist er fasziniert von diesem jungen Mann: "How fascinating the lad was!" Im Gegensatz zu dir sehe ich dies jedoch nicht als geplantes Experiment, ueber das Henry lediglich Protokoll fuehrt. Er ist Teil seiner eigenen Kuriositaet und beruecksichtigt die Folgen fuer andere einfach nicht (fairerweise: wohl auch fuer sich selbst nicht). Nach Schopenhauer: ein purer Egoist.

      Bedenke: Henry ist nicht so viel älter als Dorian. Und er berücksichtigt Folgen sehr wohl: Er inszeniert hier eine Realisierung seiner Ideen, die er selbst in aller Konsequenz NICHT umzusetzen gewagt hat. Die Eignung Dorians dafür macht ihn für Henry faszinierend: Die objektiven Gegebenheiten passen, und - noch schöner - die Resonanz ist da.

      In diesem Zustand hoert er wohl auch sehr selektiv zu: "Nothing can cure the soul but the senses, just as nothing can cure the senses as the soul". Nun, er hat aus meiner Sicht nicht uneingeschraenkt Recht. Aber das ist unwichtig: Dorian ignoriert den zweiten Teil schlichtweg, sein Lebensweg wird schon gegen Ende des Kapitels deutlich als Sklave der Sinne gezeichnet.

      Wie interpretierst Du dann seine Liebe zur künstlerischen Sublimation? Für mich ist das sehr wohl ein Versuch, "die Sinne durch die Seele zu heilen".

      "Youth! Youth! There is absolutely nothing in the world but youth!". Spricht hier nicht auch die Sehnsucht eines Mannes, der nach seiner eigenen Definition zu viel weiss?

      Nein, das glaube ich nicht. Obwohl ich Dir Recht gebe, daß uns hier auch seine eigene Angst entgegensieht (na, woher soll er denn sonst wissen, womit er Dorian packen kann), halte ich diese Worte für den stilistisch gekonnt gesetzten Endpunkt einer gut strukturierten Rede - denn dann schweigt er. Das ist nämlich jener Teil der Botschaft, der sich - nach der Vorbereitung mittels kalt/warm - in das Gehirn des anderen "einbrennen" soll.

      Dorians absolutes Pech ist seine Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt. Basil versteht so viel von den Tuecken der jugendlichen Psyche wie Lord Henry vom Malen. Und der Einzige, der wirklich dagegen halten koennte ist viel zu sehr an dem nun folgenden interessiert, als dass er eingreift - Lord Henrys einzigartige Zeile "That's the real Dorian Grey - that's all"

      Du sagst es: Es ist sein absolutes Pech.
      Den Satz mit dem WAHREN Dorian Gray habe ich absichtlich nicht angerührt - der war mir zu heiß.

      Alle drei werden sich letztlich zum Verhaengnis. Ich finde es schwierig, hier einer Person die 'Schuld' an Dorians Geschick zuzuweisen. Denn Basil haette konsequent nach seiner Erkenntnis handeln koennen, Dorians Portrait vernichtet heisst auch (wie am Ende) sein Ego vernichtet. Henrys Rolle ist klar als die eines amuesierten und spielerischen Experimentators. Aber IMHO ueberrascht ihn die Wucht seines Erfolgs selbst. Dorian zum Schluss springt auf den Zug nur zu bereitwillig auf. Er hat weder die Kraft noch den Willen, ein zweites Mal zu fliehen. Unerfahren wie er ist, fuegt er sich willig der Interpretation Henrys, deren existente Antiposition er "there is some answer to you, but i cannot find it" schlichtweg nicht artikulieren kann.

      Ja, er weiß einfach innerlich, daß da etwas nicht stimmt, nicht stimmen kann - aber er kann es nicht denken, weil er es nicht in Worte fassen kann.
      Aber Du irrst, was das Verhängnis betrifft: Dorian wird Basil und schließlich sich selbst töten. Henry wird weiterleben.
      Was ganz und gar der persönlichen Tragik Oscar Wilde´s entspricht: Nicht als das, was er selbst war, und nicht als das, was er gerne gewesen wäre, sondern nur als das, wofür ihn die anderen halten wollten, konnte er in der Gesellschaft bestehen. So hat er konsequent in diesem Roman sich selbst und seine Sehnsucht nach Selbstausdruck vernichtet - denn nur seine Maske konnte überleben. Auch unter diesem Aspekt kann man die "Schuldfrage" sehen.

      Ich bin auf die naechsten Kapitel gespannt

      Na, dann machen wir sie natürlich. :)
      Homo est Deus
      utrolibet.de
    • Original von quigor
      Ich stelle mit Entzücken fest, daß Du Dich zwar in Deinem letzten Absatz davon distanzieren willst

      Wozu ich immer noch stehe.
      meine These von der Schuld Henry´s absolut unterstützt...

      Stop, ich sage, dass Henry die Geschichte antreibt. Er ist der Motor der Veraenderung um Dorian. Ich finde es nach wie vor schwierig aus diesem Kapitel zu schlussfolgern, dass Henry in einer geplant konzentrierten Aktion Dorian in sein Schicksal treibt. Es ist nicht das ob, sondern das wie, was ich diskutiere.

      Yep, er schießt ins Blaue - aber er schießt!

      Das bestreite ich nicht. Henry tut, was moeglich ist. Nicht nur im Fall Dorian scheint er Gefallen daran zu finden, andere anzustubsen und ihre Reaktionen zu beobachten. Ich will nicht sagen, dass er dabei naiv vorgeht, aber ich finde dieses Verhalten triebhaft. Selbst wenn er wollte, er koennte nicht anders.

      Nein, Matti, ich glaube wirklich, daß hier das Motiv des aktiv Eingeladen-werdens eine Rolle spielt

      Keine Frage, er benutzt diese Gelegenheit sehr geschickt: "I stayed when you asked me" sagt er zu seiner Verteidigung am Schluss. Und ich denke, das ist der Punkt. Es geht hier (noch) nicht um Dorian. Henry will, dass Basil ihn bittet zu bleiben, die Begruendung "if Dorian wishes it, of course you must stay" mit einem 'must', ein Klassiker. 'If i cannot get you to go and you absolutly must stay'. Henry will mehr, er wartet auf das "I beg you to stay". Nicht, dass ihn das in einem angenehmeren Licht darstellt :P
      - das macht nämlich tatsächlich einen Unterschied in der Psyche dessen, der einlädt, er hat aktiv "ja" zu Dir gesagt, und damit öffnet er sich unwillkürlich.

      Sicherlich ein Faktor. Allerdings geht es nicht um Dorian. Der hat bereits nach der ersten Frage "ja" gesagt. Und Basil knirscht mit den Zaehnen, aber was tut man nicht alles fuer sein Meisterwerk.

      Die Eignung Dorians dafür macht ihn für Henry faszinierend: Die objektiven Gegebenheiten passen, und - noch schöner - die Resonanz ist da.

      Keine Frage, Dorian wird von ihm als perfekter Ton gesehen. Aber was ich bestreite ist, dass Henry mit Toepferscheibe und Skizze vor seinem Werkstueck steht. Seine Versuche gleichen mehr einer konzentrierten Anstrengung, dessen unmittelbarer Erfolg ihn hier noch selbst ueberrascht. Ich halte Harry hier nicht fuer den planmaessigen Verfuehrer, sondern fuer einen amuesierten Zocker. Noch sind wir schliesslich im Kapitel 2!

      Wie interpretierst Du dann seine Liebe zur künstlerischen Sublimation? Für mich ist das sehr wohl ein Versuch, "die Sinne durch die Seele zu heilen".

      Dorian? Henry sicherlich - obwohl es ihm nicht zu gelingen scheint, aber das ist ein altes Problem.

      "Youth! Youth! There is absolutely nothing in the world but youth!". Spricht hier nicht auch die Sehnsucht eines Mannes, der nach seiner eigenen Definition zu viel weiss?

      Nein, das glaube ich nicht. Obwohl ich Dir Recht gebe, daß uns hier auch seine eigene Angst entgegensieht (na, woher soll er denn sonst wissen, womit er Dorian packen kann),

      Und warum sonst diese Spielereien? Waere er mit sich selbst zufrieden, er braeuchte kein Bild seiner Traeume.

      Das ist nämlich jener Teil der Botschaft, der sich - nach der Vorbereitung mittels kalt/warm - in das Gehirn des anderen "einbrennen" soll.

      Sicherlich erreicht er das. Aber das spricht meiner Ansicht nach schon dafuer, dass unser Lord sich selbst damit verraet.

      ad Dorians Freunde in dieser Situation: Du sagst es: Es ist sein absolutes Pech.

      Komm, Wilde hat das sehr bewusst so geschrieben. Wo kein Drama, da kein Roman :P

      Den Satz mit dem WAHREN Dorian Gray habe ich absichtlich nicht angerührt - der war mir zu heiß.

      Was stoert dich daran? Lord Henry ist da ziemlich platt. Was soll er sagen? Schweigen ist hier nicht angebracht, "This is your doing, Harry" ist ein verbitterter Vorwurf, dessen Nichtbeantwortung einem Schuldeingestaendnis gleichkommt. Aber was meint ihr, ist dieser Wilde der "wahre" Dorian?

      Aber Du irrst, was das Verhängnis betrifft: Dorian wird Basil und schließlich sich selbst töten. Henry wird weiterleben.

      Henry ist bereits vorher gestorben. Nicht nur fuer Wilde selbst.
    • ohje, also langsam fangt ihr an mich zu verwirren *fg* ich glaub ich muss mir das Buch schnell besorgen und lesen damit ich mir auch ne Meinung bilden kann... das verwirrt mich jetzt irgendwie *fg*
      Knochen sind sauber und pur. Fett ist dreckig und hängt an deinen Knochen wie ein Parasit!!!
    • @Ana, hi!

      Ja, Du solltest Dir das Buch besorgen und selbst lesen - es ist schade, den Roman in dieser sezierenden Form kennenzulernen: "Wenn du eine Katze zerlegst, um zu sehen, wie sie funktioniert, bekommst du als erstes eine nicht funktionierende Katze."

      Ich werde mich daher auch bei meiner Antwort an MoD zurückhalten - denn wir werden der Schönheit des Textes so nicht gerecht.

      Original von MoD3000
      Keine Frage, Dorian wird von ihm als perfekter Ton gesehen. Aber was ich bestreite ist, dass Henry mit Toepferscheibe und Skizze vor seinem Werkstueck steht. Seine Versuche gleichen mehr einer konzentrierten Anstrengung, dessen unmittelbarer Erfolg ihn hier noch selbst ueberrascht. Ich halte Harry hier nicht fuer den planmaessigen Verfuehrer, sondern fuer einen amuesierten Zocker. Noch sind wir schliesslich im Kapitel 2!

      Mhm. Henry´s Plan ist meiner Meinung nach, zu verführen - wozu auch immer sich der andere verführen läßt. Und Leichtigkeit und Art seines Erfolgs überraschen ihn positiv.

      Wie interpretierst Du dann seine Liebe zur künstlerischen Sublimation? Für mich ist das sehr wohl ein Versuch, "die Sinne durch die Seele zu heilen".

      Dorian? Henry sicherlich - obwohl es ihm nicht zu gelingen scheint, aber das ist ein altes Problem.

      Nein, ich habe schon Dorian gemeint - aber zugegebenermaßen nicht im zweiten Kapitel.

      Aber was meint ihr, ist dieser Wilde der "wahre" Dorian?

      Dieser Frage möchte ich mich anschließen. Und - was meinst Du dazu?
      Homo est Deus
      utrolibet.de
    • Im dritten Kapitel trifft Henry seinen Onkel Lord Fermor, einen originellen alten Kauz, um ihn ein bißchen über Dorian und seine Familienhistorie auszuhorchen - er will Informationen über sein 'Werkstück', diesen hübschen kleinen Tonhaufen. Was er erfährt, findet er 'erregend', es stimuliert seine Phantasie: ".. eine ungewöhnliche, fast moderne Romanze. Eine schöne Frau (Dorians Mutter), die für eine wahnsinnige Leidenschaft alles wagt. Ein paar wilde Wochen des Glücks und ihr jähes Ende durch ein scheußliches, verräterisches Verbrechen (Dorians Großvater läßt seinen nicht standesgemäßen Schwiegersohn töten). Monate sprachloser Verzweiflung und dann ein Kind, das in Schmerzen geboren wurde. Die Mutter vom Tode weggenommen, der Knabe in Einsamkeit und der Tyrannei eines lieblosen alten Mannes überlassen. Ja, das war ein interessanter Hintergrund. Er verlieh dem jungen Mann klarere Konturen, machte ihn vollkommener als zuvor. Hinter allem Erlesenen in der Welt lag etwas Tragisches..."

      Und wenn es nach Henry gehen soll, wird es tragisch weitergehen:
      "Zu ihm (Dorian) sprechen war, wie wenn man auf einer köstlichen Geige spielte. ... Es lag etwas ungemein Faszinierendes darin, Einfluß auszuüben. Nichts war damit zu vergleichen. Seine Seele in eine anmutige Gestalt zu projizieren... seine eigenen Geistestendenzen im Echo zu hören, vermehrt um all die Musik der Leidenschaft und Jugend; sein Temperament in ein andres hineinzuleiten, ... Darin lag eine wahrhafte Freude - vielleicht die befriedigendste Freude, die uns in einer Zeit geblieben war, die so beschränkt und gemein war wie unsre, die in ihren Genüssen so grob fleischlich und in ihren Zielen so grob gewöhnlich war.."
      Hört ihr den Klagegesang von Lord Henry Wottons idealistischer Seele, die so enttäuscht ist über die Häßlichkeit der Welt? Da is nix mit cool!

      "Auch war er ein wundervoller Typus, dieser Jüngling, ... oder konnte wenigstens zu einem wundervollen Typus gemodelt werden. Grazie war ihm verliehen und die weiße Reinheit der Knabenunschuld, und Schönheit, wie sie alte griechische Marmorwerke bewahrten. Es gab nichts, was sich nicht aus ihm machen ließ. Er konnte zu einem Titanen oder zu einem Spielzeug gemacht werden."
      Dann sinniert Henry voll Wonne über Platons Ideenlehre nach, der gemäß ja die reale Welt einer mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbaren Welt der Ideen untergeordet ist. So zur Hölle mit dem realen Dorian und her mit der fleischgewordenen Realisierung von Henrys Vorstellungen:
      "Ja, er wollte den Versuch machen, für Dorian Gray zu sein, was, ohne es zu wissen, der Jüngling dem Maler war, der das wundervolle Porträt geschaffen hatte. Er würde alles daran setzen, ihm seinen Willen aufzuzwingen - ja, er hatte es beinahe schon geschafft. Er wollte diesen wundervollen Geist zu seinem eigenen machen. Es war etwas unwiderstehlich Anziehendes in diesem Kind der Liebe und des Todes."

      Danach folgt das Frühstück bei Henrys Tante. Dabei fällt dieser interessante Standpunkt zur Wahrheit: "Um die Wahrheit zu prüfen, muß man sie seiltanzen lassen. Wenn die Wahrheiten Akrobaten werden, können wir über sie urteilen."
      Genau das wird Henry mit Dorian machen: Um seine eigenen Wahrheiten zu überprüfen, wird er den Jungen auf das Seil schicken.

      Im weiteren Verlauf der Konversation bei Tisch verdammt Henry - wie üblich - Mitgefühl und Ernsthaftigkeit und brilliert dann mit einer glanzvollen Suada zu Ehren der Torheit: "Die einzigen Dinge, die einer nie bereut, sind seine Fehler."
      Und sie hat Impact, seine feurige Rede für die Philosophie der Lust:
      "Es war eine glänzende Improvisation. Er spürte, daß die Augen Dorian Grays auf ihn gerichtet waren, und das Bewußtsein, daß unter seinen Zuhörern einer war, dessen Naturell er bezaubern wollte, schien seinen Witz funkelnd zu machen und seiner Phantasie Farbe zu geben. Er war glänzend, phantasievoll, unwiderstehlich. Er entzückte seine Zuhörer aus sich selber, und lachend folgten sie seinen verführerischen Tönen. Dorian Gray wandte den Blick nicht von ihm ab, sondern saß wie unter einem Banne da; ein Lächeln nach dem andern glitt über sein Gesicht, die Augen dunkel vor ernstem Staunen."
      Yep, Henrys Balztanz ist erfolgreich - Dorian genießt es, von ihm ins Hirn gefickt zu werden!

      "Als Lord Henry hinaustrat, berührte ihn Dorian Gray am Arm. "Ich möchte mit ihnen gehen", sagte er leise.
      "Aber ich dachte, Sie hätten Basil Hallward versprochen, zu ihm zu kommen", erwiderte Lord Henry.
      "Ich möchte lieber mit ihnen gehen; ja, ich fühle, ich muß mit ihnen gehen. Erlauben Sie es mir? Und versprechen Sie mir, die ganze Zeit mit mir zu reden? Niemand spricht so wundervoll wie Sie."
      "Ach! Ich habe für heute gerade genug geredet", sagte Lord Henry lächelnd. "Alles, was ich jetzt wünsche, ist, das Leben zu betrachten. Wenn Sie wollen, so kommen Sie mit und betrachten Sie es mit mir."
      Und ob der Kleine will...
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