Montaigne

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    • Ich habe etwas ueberlegt, ob ich das in Literatur tun sollte. Ich interessiere mich jedoch eher fuer die philosophischen Aspekte seiner Essais. Ich bin fast durch und moechte ein wenig zitieren:
      Werden wir unserer Haut weismachen, dass die Peitschenhiebe sie liebkosen? Und unserem Gaumen, dass Aloe ein Bourdauxwein sei? Das Schwein des Pyrrho ist hier in unserer Gesellschaft. Es ist wohl ohne Furcht vor dem Tode, aber wenn man es schlaegt, schreit es und rast.

      Memineris maximos morte finiri; parvos multa habere intervalla requietis; mediocrium nos esse dominos: ut si tolerabiles sint feramus, sin minus, e vita, quum ea non placeat, tnaquam e theatro exeamus.

      Wir fuehlen den Schnitt des Skalpells eines Wundarztes heftiger als zehn Schwertstreiche in der Hitze des Kampfes.

      An Annehmlichkeiten gewann ich daraus wenig oder nichts: mehr Mittel zum Ausgeben zu haben, machte mir das Ausgeben keineswegs leichter. Denn, wie Bion sagte, der Dickschopfige zetert nicht weniger als der Glatzkopf, wenn man ihm ein Haar ausrauft; und wenn ihr einmal der Gewoehnung verfallen seid und euren Sinn auf einen gewissen Haufen gesetzt habt, so steht er nicht mehr zu eurem Gebote: ihr wuerdet nicht wagen, ihn anzuknabbern. Es ist ein Gebaeude, das, wie euch beduenkt, voellig zusammenbrechen muesste, wenn ihr es nur anruehrt.

      Alle Meinungen der Welt sind darin einstimmig, dass das Vergnuegen unser Ziel sei, ob sie gleich verschiedene Wege dahin gehen; andernfalls wuerde man sie unbesehen verwerfen, denn wer wuerde wohl den anhoeren, der unsere Muehsal und Missvergnuegung zu seinem Ziel erhoebe?
      Die Uneinigkeiten der philosophischen Sekten in diesem Punkte sind Wortstreite.

      Es ist der Vernunft wie der Froemmigkeit hoechst angemessen, von der Menschlichkeit Jesu Christi selbst ein Beispiel zu nehmen: wohlan, er endete sein Leben mit dreiunddreissig Jahren. Der groesste unter den Menschen, die bloss Menschen waren, Alexander, starb zur gleichen Frist.

      Wirklich bringen Zufaelligkeiten und Gefahren uns dem Tode wenig oder gar nicht naeher, und wenn wir bedenken, wie viele Millionen anderer ausser dem einen Zufalle, der uns am meisten zu bedrohen scheint, noch ueber unserem Haupte schweben, so werden wir finden, dass uns, ob wohlauf oder fiebernd, zur See oder zu Hause, in der Schlacht oder rastend, der Tod gleich nahe ist.[...]Um alles, was ich noch vor meinem Tode zu tun habe, zu vollenden, scheint mir jede Frist kurz, und waere es auch die Sache einer Stunde.

      Was kuemmert es uns, wann das Ende kommt, da es nicht zu vermeiden ist? Als man zu Sokrates sagte: die dreissig Tyrannen haben dich zum Tode verurteilt; - und die Natur sie, erwiderte er.

      Man berichtete Sokrates von jemand, der sich auf seinen Reisen um nichts gebessert habe: Das glaube ich wohl, erwiderte er, er hatte sich selbst mitgenommen

      Erinnert euch an jenen, den man fragte, warum er sich mit einer Kunst so sauer abmuehe, die doch nur zur Kenntnis weniger gelangen koenne: Mir ist es genug an einigen wenigen, erwiderte er; mir is es genug an einem; mir ist es genug an gar keinem. Er sagte die Wahrheit; ihr und ein Gefaehrte seid einander eine hinlaengliche Zuhoererschaft, und auch ihr euch allein. Moege das Volk euch ein einziger sein und einer das ganze Volk. Es ist ein ein aermlicher Ehrgeiz, aus seiner Musse und Abgeschiedenheit Ruhm schlagen zu wollen. Man sollte tun wie die Tiere, die vor dem eingang ihrer hoehle die Spuren verwischen. Nicht darauf sollt ihr mehr sinnen, dass die Welt von euch rede, sondern wie ihr mit euch selbst reden sollt.

      Die meisten unserer Beschaeftigungen sind Mummenschanz. Mundus inversus exercet histrioniam. Man muss seine Rolle getreulich spielen, doch als eine angenommene Schauspielrolle. Aus Maske und Faltenwurf darf man nicht ein wirkliches Wesen machen, noch aus dem Fremden sein Eigenes. [...] Ich kenne Leute, die ebenso oft ihre Gestalten und ihr Wesen verwandeln, als sie ein neues Amt uebernehmen, die sich bis in die Nieren und Eingeweide mit ihrer Hochwuerden durchdringen und ihr Amt noch auf den Nachtstuhl mitnehmen. Ich kann ihnen nicht beibringen, die Buecklinge, die ihnen gelten, von denen zu unterscheiden, die ihrem Amte oder ihrem Gefolge oder ihrem Mailesel dargebracht werden. Sie blaehen und stelzen ihre Seele und ihre natuerliche Einsicht bish zur Hoehe ihres erhabenen Amtssessels.

      Recommended Reading :)
      Offenbar hat der Mann Geist bewiesen. Waere er nicht Katholik, haette ich ja gesagt, er sei die Antwort, die die Atheisten seit langem suchen...
    • RE: Montaigne

      Original von MoD3000
      Offenbar hat der Mann Geist bewiesen. Waere er nicht Katholik, haette ich ja gesagt, er sei die Antwort, die die Atheisten seit langem suchen...

      Na, der klassische Katholik seiner Zeit war dieser Mann wohl nicht. ;)

      Welcher Essay gefällt Dir besonders gut?
      Ich habe den Auszug "über die Schulmeisterei" gelesen - da gibt es sicher besseres. Für die Originaltexte ist mein französisch zu schlecht (es ist unter jeder Kritik), aber ich habe einen englischen Link gefunden:
      glad.best.vwh.net/montaigne/

      Wirklich bringen Zufaelligkeiten und Gefahren uns dem Tode wenig oder gar nicht naeher, und wenn wir bedenken, wie viele Millionen anderer ausser dem einen Zufalle, der uns am meisten zu bedrohen scheint, noch ueber unserem Haupte schweben, so werden wir finden, dass uns, ob wohlauf oder fiebernd, zur See oder zu Hause, in der Schlacht oder rastend, der Tod gleich nahe ist.[...]Um alles, was ich noch vor meinem Tode zu tun habe, zu vollenden, scheint mir jede Frist kurz, und waere es auch die Sache einer Stunde.

      Was hat Dir daran imponiert?

      Was kuemmert es uns, wann das Ende kommt, da es nicht zu vermeiden ist? Als man zu Sokrates sagte: die dreissig Tyrannen haben dich zum Tode verurteilt; - und die Natur sie, erwiderte er.

      Das allerdings ist voll witzig!
      Die beiden Zitate sind sicher aus dem selben Essay, nicht wahr? Welcher ist es?

      Erinnert euch an jenen, den man fragte, warum er sich mit einer Kunst so sauer abmuehe, die doch nur zur Kenntnis weniger gelangen koenne: Mir ist es genug an einigen wenigen, erwiderte er; mir is es genug an einem; mir ist es genug an gar keinem. Er sagte die Wahrheit; ihr und ein Gefaehrte seid einander eine hinlaengliche Zuhoererschaft, und auch ihr euch allein. Moege das Volk euch ein einziger sein und einer das ganze Volk. Es ist ein ein aermlicher Ehrgeiz, aus seiner Musse und Abgeschiedenheit Ruhm schlagen zu wollen. Man sollte tun wie die Tiere, die vor dem eingang ihrer hoehle die Spuren verwischen. Nicht darauf sollt ihr mehr sinnen, dass die Welt von euch rede, sondern wie ihr mit euch selbst reden sollt.

      Mhm. Eine wahre Erkenntnis. Aber klingt für mich nicht sehr christlich.. :think:
      Homo est Deus
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    • wow, ein interessanter Mensch, dessen Existenz mir bisher verborgen blieb - eine echte Bildungslücke - nun geschlossen - thx @ MOD

      mal noch ein Zitat von ihm:


      Das Meisterstück eines Menschen, auf das er besonders stolz sein kann, ist, sinnvoll zu leben; alles übrige, wie regieren, Schätze sammeln, Bauten errichten, sind Nebensachen.


      :headbang:
      "Und ois kaputt geht wei wir ned durchblicken,
      waun Yoghurt Landliebe haast obwoi ma`d Natur ficken!
      ...
      Während`s fost olle blenden mit da Reizüberflutung,
      oba kana mehr merkt das uns nix bleibt für die Zukunft;
      An dem Punkt wo a da Bischof si`s im Netz besorgt -
      was i dass jetz kumman muass mei letztes Wort!"

      Ivan Ivanov - Die Unsichtbaren - das Ende

      Nesh Nivel: "wir sind unsichtbar für dich solange du nicht an uns glaubst"
    • Einspruch, Murkser: Wer sagt, daß der Sinn eines Lebens nicht in dem liegen kann, was Montaigne hier als Beispiele für Nebensachen anführt?

      "Vor der Erleuchtung habe ich meine Gemüsebeete von Steinen befreit und Holz gehackt. Nach der Erleuchtung habe ich meine Gemüsebeete von Steinen befreit und Holz gehackt." Das ist die Antwort eines östlichen Meisters an seinen Schüler. ;)
      Homo est Deus
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    • hab ich doch gar nicht ausgeschlossen. Wenn jemand das gern tun möchte - bitte schön. Wobei ich auch ein Unterschied zwischen Schätze sammeln und Holz hacken sehe. Das zweite ist durchaus eine sinnvolle Tätigkeit.

      Sein Leben nur auf Nebensächlichkeiten zu legen ist für mich wie gar nicht gelebt zu haben.
      "Und ois kaputt geht wei wir ned durchblicken,
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      Nesh Nivel: "wir sind unsichtbar für dich solange du nicht an uns glaubst"

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von Murkser ()

    • Nunja, ich hab hier auch einige Alben mit Briefmarken, alte Münzen und ein paar Ü-Ei-Figuren. Als Schätze kann man das allerdings noch nicht bezeichnen. Sie haben als Sinn, etwas Historie zu bewahren und vielleicht mal ein Schatz zu werden. Ich kenn auch Menschen, die davon völlig fasziniert sind (war ich früher auch ein wenig) und laufend am sammeln sind und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten - was auch ganz cool ist - Hobby zum Beruf gemacht.

      aber die sagen auch, es gibt noch was anderes, ihre Familie zb. und dann bin ich beruhigt, weil solches Sammeln auch keine rechte Befriedigung verschafft. Sie wollen immer mehr, egal wieviel tausend Briefmarken, feuerwehrautos oder Kloschüsseln sie schon besitzen, es gibt etwas neues das ihre Begierde erweckt.
      "Und ois kaputt geht wei wir ned durchblicken,
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      Ivan Ivanov - Die Unsichtbaren - das Ende

      Nesh Nivel: "wir sind unsichtbar für dich solange du nicht an uns glaubst"
    • Die Zitate sind aus den 5 Teilen, die ich hier habe: "Von der Freundschaft" (hab ich keins ausgewaehlt), "Dass unsere Empfindung des Guten und des Boesen grossenteils von der Meinung abhaengt, die wir davon haben" (geil), "Philosophieren heisst sterben lernen", "Von der Einsamkeit", "Von der Schonung des Willens".
      Das ist Teil der "Kleinen Bibliothek der Weltweisheit", die ich dankenswerter weise von meinen Eltern bekam :)

      Was mir an dem Stueck mit dem Todeszeitpunkt imponiert hat, war die Gelassenheit in dessen Angesicht. Die Schlussfolgerung, die er zieht, ist ja "why worry?". Gleichzeitig zeigt er einen Respekt vor dem Tod als Ende seines Lebens, der mir imponiert. Er fuerchtet ihn nicht, er respektiert ihn, wie einen Vertrauten. Die Stoik des Zitates macht es irgendwie beeindruckend.
      An anderer Stelle heisst es:
      Ich will, dass man wirke und die Verrichtungen des Lebens so weit fuehre, wie man kann, und dass der Tod mich meinen Kohl pflanzend antreffe, aber unbekuemmert um ihn und mehr noch um meinen unbestellten Garten.

      Das ist ebenso wie die zwei anderen aus "Philosophieren heisst sterben lernen".

      Noch zu eurem Gemuesebeet: der Spruch des Weisen zeigt schon eines sehr richtig, dass die Erleuchtung naemlich ausserhalb dieser Welt steht. Sammeln kannst du damit so viel du willst. Die einzige Bedingung sei, dass du ihm keine Traene hinterherweinst, sollte es gehen. Und das hat Montaigne sehr schoen formuliert: Geld ja, aber "ich setze es nur zum Vergnuegen ein."
    • Original von MoD3000
      Die Stoik des Zitates macht es irgendwie beeindruckend.

      Mhm, mich hat der letzte Satz gestört: erschien mir zu wenig.. stoisch.

      An anderer Stelle heisst es:
      Ich will, dass man wirke und die Verrichtungen des Lebens so weit fuehre, wie man kann, und dass der Tod mich meinen Kohl pflanzend antreffe, aber unbekuemmert um ihn und mehr noch um meinen unbestellten Garten.

      Das ist ebenso wie die zwei anderen aus "Philosophieren heisst sterben lernen".

      Yep, der ist geil, der trifft es ausgezeichnet.
      Danke für die Angabe des Titels - der ist glücklicherweise bei den englischen Übersetzungen dabei. :)

      Noch zu eurem Gemuesebeet: der Spruch des Weisen zeigt schon eines sehr richtig, dass die Erleuchtung naemlich ausserhalb dieser Welt steht.

      Ich fasse das anders auf: Solange Du lebst, stehst Du in dieser Welt - mit und ohne Erleuchtung.
      Kriya. Ya bedeutet Seele, Atman, Kri steht für jede Arbeit, Aktivität, Handlung. Das Bewußtsein Gottes im ganzen Leben.

      Sammeln kannst du damit so viel du willst. Die einzige Bedingung sei, dass du ihm keine Traene hinterherweinst, sollte es gehen. Und das hat Montaigne sehr schoen formuliert: Geld ja, aber "ich setze es nur zum Vergnuegen ein."

      Mhm. Aber ich möchte es noch radikaler formulieren: Nichts und niemandem sollst Du eine Träne hinterherweinen. Liebe niemals etwas so stark, daß du es nicht sterben sehen kannst - remember? :D

      Original von Murkser
      aber die sagen auch, es gibt noch was anderes, ihre Familie zb. und dann bin ich beruhigt, weil solches Sammeln auch keine rechte Befriedigung verschafft. Sie wollen immer mehr, ..

      *rofl* Gut so, ich hoffe doch stark, daß sie mehr als das wollen! :P
      Homo est Deus
      utrolibet.de
    • Original von quigor
      Mhm. Aber ich möchte es noch radikaler formulieren: Nichts und niemandem sollst Du eine Träne hinterherweinen. Liebe niemals etwas so stark, daß du es nicht sterben sehen kannst - remember? :D


      das ist richtig - aber verdammt schwer. Ich hab zur Zeit ziemlich krasse Träume. Heute früh war ich zb ein Bärenkind, das gesehen hat, wie seine Mutter von etwas Merkwürdigen zerquetscht wurde. Es war herzzereißend - so einen Schmerz habe ich vorher noch nie gefühlt. Hätte gern jemand waches neben mir gehabt, die mir hätte sagen können, ob ich im Schlaf geschrien habe.

      P.S. eine Art Blauauge ist zurück - hab meinen alten Ava nicht mehr gefunden. Aber er ist ziemlich weit verbreitet und wird mir bestimmt mal wieder über den Weg laufen.
      "Und ois kaputt geht wei wir ned durchblicken,
      waun Yoghurt Landliebe haast obwoi ma`d Natur ficken!
      ...
      Während`s fost olle blenden mit da Reizüberflutung,
      oba kana mehr merkt das uns nix bleibt für die Zukunft;
      An dem Punkt wo a da Bischof si`s im Netz besorgt -
      was i dass jetz kumman muass mei letztes Wort!"

      Ivan Ivanov - Die Unsichtbaren - das Ende

      Nesh Nivel: "wir sind unsichtbar für dich solange du nicht an uns glaubst"

      Dieser Beitrag wurde bereits 2 mal editiert, zuletzt von Murkser ()

    • Original von quigor
      Noch zu eurem Gemuesebeet: der Spruch des Weisen zeigt schon eines sehr richtig, dass die Erleuchtung naemlich ausserhalb dieser Welt steht.

      Ich fasse das anders auf: Solange Du lebst, stehst Du in dieser Welt - mit und ohne Erleuchtung.
      Kriya. Ya bedeutet Seele, Atman, Kri steht für jede Arbeit, Aktivität, Handlung. Das Bewußtsein Gottes im ganzen Leben.

      Was meine Aussage mit mehr Fremdwoertern ist :P
      Wenn die Erleuchtung zu einer anderen Sphaere gehoert, stehst du dein Leben lang in der selben Welt.

      Mhm. Aber ich möchte es noch radikaler formulieren: Nichts und niemandem sollst Du eine Träne hinterherweinen. Liebe niemals etwas so stark, daß du es nicht sterben sehen kannst - remember? :D

      Ja, steht so bei Montaigne.