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„Die Liebe ist ein wildes Tier,
in die Falle gehst Du ihr,
in die Augen starrt sie Dir,
gefangen wenn ihr Blick Dich trifft”-
Rammstein, Amour
Die Sonne sank sich zum letzten Mal am Firmament, drohend wie ein blutverschmiertes Messer, das zum letzten, finalen Stich ausholte, um sein Opfer endgültig in die tiefsten Reiche des Jenseits zu befördern.
Ein Sonnenstrahl, wohl nur ein kleiner Partikel, bahnte sich seinen Weg hinab und schien gegen das Glas der Fensterscheibe, nur um sich auf dem Grunde des verschmutzten Fensters wiederzuspiegeln.
Juliane zwinkerte unwillkürlich mit den Augen, als sie nach draußen schaute. Die Umgebung wirkte auf sie ebenso unbehaglich, wie das kleine Dorf aus dem sie gezogen waren. Die Natur hatte eine bedrohlich ruhige Wirkung auf sie. So ruhig und unscheinbar, wie das Leben dieser vollkommen normalen Familie verlief. Einer fast normalen Familie, wie man sagen würde.
Sie saß im hinteren Bereich des kleinen Kombis und hatte einen großen Kopfhörer auf, welcher ihre linken und rechten Gesichtshälften fast vollkommen verbarg. Sie hörte Pink und hatte ihren MP3-Stick auf die höchste Lautstärke eingestellt. Nicht etwa, weil sie in einer besonders guten Stimmung war. Nein, sie wollte das Streiten ihrer Eltern dadurch überschatten, was jedoch nicht funktionierte. Selbst ein Flugzeug hätte das krächzende Geräusch ihrer schreienden Mutter und den Bariton ihres Vaters nicht komplett überdecken können.
Juliane war gerade erst fünfzehn geworden und sie wirkte bereits so ausgelaugt wie eine 50jährige Frau, die auf ihr Leben zurückschaut, als hätte sie die ganze Zeit nichts anderes getan, als in den melancholischen Abgrund ihrer selbst zu blicken und auf der Oberfläche eine gräßliche und doch vertraute Fratze gesehen, die ihr bei jeder Gelegenheit sagte, dass sie versagt hatte. Dass sie ein Niemand war, und dass es niemanden geben würde, der sie jemals unterstützen und schon gar nicht mögen würde. Von Liebe war keine Rede.
Ihre Gesichtszüge waren glatt. Sie benötigte noch kein Make-Up, um Lachfalten oder ähnliches abzuschminken. Sie trug allein pinken Lidschatten. Um ihre großen Augen hatten sich bereits kleine Ringe gebildet, jedoch nicht sonderlich stark. Im blendendem Scheine des Lichts schien sie eine helle Augenfarbe zu haben, doch war die Sonne nur imstande, die braune Farbe etwas zu überschatten.
Sie spielte bereits seit dreißig Minuten „Missundaztood!” auf Endlosschleife und das Lied spiegelte genau ihre Empfindungen wider. Sie konnte die Auseinandersetzung ihrer Eltern genau mitverfolgen, redete sich dennoch ein, es nicht zu können. Sie wollte es nicht hören, und doch hörte sie es. Und sie registrierte es. Alles. Jedes verdammte Wort. Die Streitigkeiten waren nur noch zu leeren, erbärmlichen Worthülsen verkommen, die bei jeder weiteren Auseinandersetzungen wie auf einem Tonband wiederholt wurden. Dieselbe langweilige Endlosschleife, auf welcher sie gerade das Lied hörte.
Ihr Vater, der auf den altbackenen Namen Wilhelm hörte, würde ihrer Mutter Angelique nicht ihren Beruf gönnen. Er wäre neidisch, da sie nun, nach vielen beschwerlichen Jahren, die Früchte ihrer Arbeit als Medizinerin ernten und einen Lehrauftrag an der Universität erhalten würde. Und im Gegenzug wehrte sich Wilhelm vehement dagegen, auch nur im geringsten eifersüchtig zu sein, da er immerhin als Direktor einer großen Bank in Münster zu arbeiten anfangen würde. Und beide waren sich seltsamerweise darüber einig, dass ihr Sexualleben nur noch eine einzige Katastrophe war. Hier und da ein verdammter, billiger Neujahrsfick in der Missionarsstellung, der um 23 Uhr 50 begann und mit den Sylvesterraketen endete, und das seit mehr als fünf Jahren. Sie hätten sich totgelaufen, aber niemals totgeliebt. Denn lieben würden sie sich schon seit langem nicht mehr.
Die üblichen kleingeistigen Auseinandersetzungen einer kaputten Ehe, und ein weiterer Beweis dafür, wie gut doch die beiden Geschlechter zusammen harmonierten, wenn sie sich in den langweiligen Alltag einer staatlich gesegneten Verbindung begaben.
„Du weißt genau, dass ich Dich nicht mehr brauche”, sagte Angelique in einem etwas ruhigerem, fast schon trotzigem Ton und stützte den Arm auf die Fensterlehne. Auch ihr Blick glitt nach draußen. Die Sonne spiegelte sich diesmal auf kleinen, türkisfarbenen Augen und auf einem Gesicht, das nur noch eingefallen und alt wirkte. Falten schienen sich fast durch die ganze Visage zu ziehen, begleitet von dick hervorstehenden Adern, dessen Pochen bei näherer Betrachtung deutlich auffiel. Die Haare waren bereits ergraut und die Figur war derart dürr, dass jeder Arzt eine ungesunde Lebensweise bestätigt hätte.
„Nein, natürlich nicht”, erwiderte Wilhelm zynisch, „Du brauchst auch das Geld nicht, das ich hart erarbeitet habe damit wir dieses scheißverfluchte Haus kaufen können, das wir uns gleich ansehen.” Er klopfte hart mit der linken Hand auf das Lenkrad und rief dann:
„Und denk' verdammt nochmal darüber nach, wer Dir Deine ganzen verfickten Liebhaber finanziert. Oder meinst Du ich würde das nicht merken? Für wie bescheuert hälst Du mich eigentlich? Meinst Du, ich würde nicht merken, dass die ganze Nachbarschaft in den letzten drei Jahren bei uns zu Besuch war und ihre verwichsten Kondomhülsen liegengelassen hat? Meinst Du, ich sei so naiv! Verdammte Schlampe!”
Wieder stieß er auf das Lenkrad und jetzt wirkte es monoton wie der Vorschlaghammer eines Bauarbeiters.
Wilhelms Probleme hatten sich nicht nach außen bemerkbar gemacht. Er benutzte häufig Peeling-Cremes und die besten Gesichtspflegeprodukte. Er wirkte fast wie ein lieber, netter Arzt, der einem einen warmen Händedruck und ein einladendes Lächeln entgegenwirft und selbst einem Sterbenskrankem noch die positiven Aspekte seines bevorstehenden Todes begreiflich machen kann.
Er hatte ein quadratisches und mächtig wirkendes Gesicht. Seine Lippen waren schmal und seine Nase bildete einen leichten Haken. Seine Augen waren tiefschwarz. Sein längeres, ebenfalls schwarzes, Haar war nach hinten gekämmt und mit etwas Haargel zusammengehalten. Er hatte alles unter Kontrolle. Ein selbstbestimmter, selbstbewusster und äußerst zuvorkommender Mensch, der alles unter Kontrolle hatte. So wirkte er zumindest äußerlich.
Angelique lachte bitter und versuchte ihn, trotz der blendenden Sonne, anzusehen.
„Du solltest Dich echt mal selbst reden hören.”
Jetzt klang sie verbittert. Wie eine alte, ewig enttäuschte Frau.
„Meine Ohren sind gut”, erwiderte er ruhig.
„Du steckst Deinen Schwanz doch auch in alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.”
Wieder klopfte er auf das Lenkrad. Diesmal war es ein stärkeres, aggressiveres Klopfen. Es war fast ein Schrei, den er hervorbrachte:
„Wie erbärmlich bist Du eigentlich? Als wenn ich jemals, jemals, auch nur ein verficktes einziges Mal fremdgegangen wäre! Zur Hölle, nein!”
Zwei weitere regelrechte Schläge auf das Lenkrad, die seine rechte Hand am Lenkrad selbst erschütterte. Er zog sie kurz zurück und rief dann weiter:
„Warte ab, bis wir zuhause sind, Du verdammtes, kleines Stück...”
Er beendete den Satz nicht mehr. Denn plötzlich stand die Sonne direkt über der Windschutzscheibe. Er war nicht mehr in der Lage dazu, die Straße zu überblicken. Verzweifelt griff er wieder mit beiden Händen nach dem Lenkrad, steuerte es einmal nach rechts, dann wieder nach links, um irgendeine Form von Kontrolle wiederzuerlangen. Die Autos vor ihm waren komplett seinem Blickfeld gewichen. Nahezu verzweifelt versuchte er, den Straßenstreifen auf der rechten Seite wahrzunehmen. Jeglicher Ausdruck der Kontrolle war aus seinem Gesicht gewichen, als wäre sein Make-Up verlaufen, wie ein Kuchen, den ihm ein Clown in das Gesicht geworfen hat.
Von dem Wagen hinter ihm vernahm er ein lautes, nicht enden wollendes, Hupen.
Schnell lenkte er den Wagen auf die rechte Seite, hatte nun einen besseren Blick, da er etwas aus dem Winkel der Sonne herauskam. Schlagartig stoppte er den Wagen auf dem Seitenstreifen, und atmete tief durch.
„Was fährst Du für einen bodenlosen Streifen?”, fragte ihn seine Frau.
„Klappe!”, gab er wirsch zurück, löste den Sicherheitsgurt, betätigte den Wagenschlag und verließ das Auto.
Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht und schaute nun zur Sonne. Und das, was er sah, ließ ihn stutzen. Die Sonne war in gleicher Höhe wie zuvor. Und doch fuhren die Autos, die hinter ihm waren, mühelos weiter. Sie wurden nicht von den Sonnenstrahlen abgehalten.
Sie hatte vor wenigen Sekunden das gesamte Feld seiner Windschutzscheibe eingenommen. Etwas dergleichen hatte er, in seiner langjährigen Fahrzeit, noch nicht erlebt.
„Was, zur Hölle, war das?”, fragte er sich selbst halblaut.
Er steckte die Hände in die Tasche seiner ordentlichen Cotton-Hose. Dann schüttelte er den Kopf und stieg wieder in den Wagen ein.
„Die Liebe ist ein wildes Tier,
in die Falle gehst Du ihr,
in die Augen starrt sie Dir,
gefangen wenn ihr Blick Dich trifft”-
Rammstein, Amour
Die Sonne sank sich zum letzten Mal am Firmament, drohend wie ein blutverschmiertes Messer, das zum letzten, finalen Stich ausholte, um sein Opfer endgültig in die tiefsten Reiche des Jenseits zu befördern.
Ein Sonnenstrahl, wohl nur ein kleiner Partikel, bahnte sich seinen Weg hinab und schien gegen das Glas der Fensterscheibe, nur um sich auf dem Grunde des verschmutzten Fensters wiederzuspiegeln.
Juliane zwinkerte unwillkürlich mit den Augen, als sie nach draußen schaute. Die Umgebung wirkte auf sie ebenso unbehaglich, wie das kleine Dorf aus dem sie gezogen waren. Die Natur hatte eine bedrohlich ruhige Wirkung auf sie. So ruhig und unscheinbar, wie das Leben dieser vollkommen normalen Familie verlief. Einer fast normalen Familie, wie man sagen würde.
Sie saß im hinteren Bereich des kleinen Kombis und hatte einen großen Kopfhörer auf, welcher ihre linken und rechten Gesichtshälften fast vollkommen verbarg. Sie hörte Pink und hatte ihren MP3-Stick auf die höchste Lautstärke eingestellt. Nicht etwa, weil sie in einer besonders guten Stimmung war. Nein, sie wollte das Streiten ihrer Eltern dadurch überschatten, was jedoch nicht funktionierte. Selbst ein Flugzeug hätte das krächzende Geräusch ihrer schreienden Mutter und den Bariton ihres Vaters nicht komplett überdecken können.
Juliane war gerade erst fünfzehn geworden und sie wirkte bereits so ausgelaugt wie eine 50jährige Frau, die auf ihr Leben zurückschaut, als hätte sie die ganze Zeit nichts anderes getan, als in den melancholischen Abgrund ihrer selbst zu blicken und auf der Oberfläche eine gräßliche und doch vertraute Fratze gesehen, die ihr bei jeder Gelegenheit sagte, dass sie versagt hatte. Dass sie ein Niemand war, und dass es niemanden geben würde, der sie jemals unterstützen und schon gar nicht mögen würde. Von Liebe war keine Rede.
Ihre Gesichtszüge waren glatt. Sie benötigte noch kein Make-Up, um Lachfalten oder ähnliches abzuschminken. Sie trug allein pinken Lidschatten. Um ihre großen Augen hatten sich bereits kleine Ringe gebildet, jedoch nicht sonderlich stark. Im blendendem Scheine des Lichts schien sie eine helle Augenfarbe zu haben, doch war die Sonne nur imstande, die braune Farbe etwas zu überschatten.
Sie spielte bereits seit dreißig Minuten „Missundaztood!” auf Endlosschleife und das Lied spiegelte genau ihre Empfindungen wider. Sie konnte die Auseinandersetzung ihrer Eltern genau mitverfolgen, redete sich dennoch ein, es nicht zu können. Sie wollte es nicht hören, und doch hörte sie es. Und sie registrierte es. Alles. Jedes verdammte Wort. Die Streitigkeiten waren nur noch zu leeren, erbärmlichen Worthülsen verkommen, die bei jeder weiteren Auseinandersetzungen wie auf einem Tonband wiederholt wurden. Dieselbe langweilige Endlosschleife, auf welcher sie gerade das Lied hörte.
Ihr Vater, der auf den altbackenen Namen Wilhelm hörte, würde ihrer Mutter Angelique nicht ihren Beruf gönnen. Er wäre neidisch, da sie nun, nach vielen beschwerlichen Jahren, die Früchte ihrer Arbeit als Medizinerin ernten und einen Lehrauftrag an der Universität erhalten würde. Und im Gegenzug wehrte sich Wilhelm vehement dagegen, auch nur im geringsten eifersüchtig zu sein, da er immerhin als Direktor einer großen Bank in Münster zu arbeiten anfangen würde. Und beide waren sich seltsamerweise darüber einig, dass ihr Sexualleben nur noch eine einzige Katastrophe war. Hier und da ein verdammter, billiger Neujahrsfick in der Missionarsstellung, der um 23 Uhr 50 begann und mit den Sylvesterraketen endete, und das seit mehr als fünf Jahren. Sie hätten sich totgelaufen, aber niemals totgeliebt. Denn lieben würden sie sich schon seit langem nicht mehr.
Die üblichen kleingeistigen Auseinandersetzungen einer kaputten Ehe, und ein weiterer Beweis dafür, wie gut doch die beiden Geschlechter zusammen harmonierten, wenn sie sich in den langweiligen Alltag einer staatlich gesegneten Verbindung begaben.
„Du weißt genau, dass ich Dich nicht mehr brauche”, sagte Angelique in einem etwas ruhigerem, fast schon trotzigem Ton und stützte den Arm auf die Fensterlehne. Auch ihr Blick glitt nach draußen. Die Sonne spiegelte sich diesmal auf kleinen, türkisfarbenen Augen und auf einem Gesicht, das nur noch eingefallen und alt wirkte. Falten schienen sich fast durch die ganze Visage zu ziehen, begleitet von dick hervorstehenden Adern, dessen Pochen bei näherer Betrachtung deutlich auffiel. Die Haare waren bereits ergraut und die Figur war derart dürr, dass jeder Arzt eine ungesunde Lebensweise bestätigt hätte.
„Nein, natürlich nicht”, erwiderte Wilhelm zynisch, „Du brauchst auch das Geld nicht, das ich hart erarbeitet habe damit wir dieses scheißverfluchte Haus kaufen können, das wir uns gleich ansehen.” Er klopfte hart mit der linken Hand auf das Lenkrad und rief dann:
„Und denk' verdammt nochmal darüber nach, wer Dir Deine ganzen verfickten Liebhaber finanziert. Oder meinst Du ich würde das nicht merken? Für wie bescheuert hälst Du mich eigentlich? Meinst Du, ich würde nicht merken, dass die ganze Nachbarschaft in den letzten drei Jahren bei uns zu Besuch war und ihre verwichsten Kondomhülsen liegengelassen hat? Meinst Du, ich sei so naiv! Verdammte Schlampe!”
Wieder stieß er auf das Lenkrad und jetzt wirkte es monoton wie der Vorschlaghammer eines Bauarbeiters.
Wilhelms Probleme hatten sich nicht nach außen bemerkbar gemacht. Er benutzte häufig Peeling-Cremes und die besten Gesichtspflegeprodukte. Er wirkte fast wie ein lieber, netter Arzt, der einem einen warmen Händedruck und ein einladendes Lächeln entgegenwirft und selbst einem Sterbenskrankem noch die positiven Aspekte seines bevorstehenden Todes begreiflich machen kann.
Er hatte ein quadratisches und mächtig wirkendes Gesicht. Seine Lippen waren schmal und seine Nase bildete einen leichten Haken. Seine Augen waren tiefschwarz. Sein längeres, ebenfalls schwarzes, Haar war nach hinten gekämmt und mit etwas Haargel zusammengehalten. Er hatte alles unter Kontrolle. Ein selbstbestimmter, selbstbewusster und äußerst zuvorkommender Mensch, der alles unter Kontrolle hatte. So wirkte er zumindest äußerlich.
Angelique lachte bitter und versuchte ihn, trotz der blendenden Sonne, anzusehen.
„Du solltest Dich echt mal selbst reden hören.”
Jetzt klang sie verbittert. Wie eine alte, ewig enttäuschte Frau.
„Meine Ohren sind gut”, erwiderte er ruhig.
„Du steckst Deinen Schwanz doch auch in alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist.”
Wieder klopfte er auf das Lenkrad. Diesmal war es ein stärkeres, aggressiveres Klopfen. Es war fast ein Schrei, den er hervorbrachte:
„Wie erbärmlich bist Du eigentlich? Als wenn ich jemals, jemals, auch nur ein verficktes einziges Mal fremdgegangen wäre! Zur Hölle, nein!”
Zwei weitere regelrechte Schläge auf das Lenkrad, die seine rechte Hand am Lenkrad selbst erschütterte. Er zog sie kurz zurück und rief dann weiter:
„Warte ab, bis wir zuhause sind, Du verdammtes, kleines Stück...”
Er beendete den Satz nicht mehr. Denn plötzlich stand die Sonne direkt über der Windschutzscheibe. Er war nicht mehr in der Lage dazu, die Straße zu überblicken. Verzweifelt griff er wieder mit beiden Händen nach dem Lenkrad, steuerte es einmal nach rechts, dann wieder nach links, um irgendeine Form von Kontrolle wiederzuerlangen. Die Autos vor ihm waren komplett seinem Blickfeld gewichen. Nahezu verzweifelt versuchte er, den Straßenstreifen auf der rechten Seite wahrzunehmen. Jeglicher Ausdruck der Kontrolle war aus seinem Gesicht gewichen, als wäre sein Make-Up verlaufen, wie ein Kuchen, den ihm ein Clown in das Gesicht geworfen hat.
Von dem Wagen hinter ihm vernahm er ein lautes, nicht enden wollendes, Hupen.
Schnell lenkte er den Wagen auf die rechte Seite, hatte nun einen besseren Blick, da er etwas aus dem Winkel der Sonne herauskam. Schlagartig stoppte er den Wagen auf dem Seitenstreifen, und atmete tief durch.
„Was fährst Du für einen bodenlosen Streifen?”, fragte ihn seine Frau.
„Klappe!”, gab er wirsch zurück, löste den Sicherheitsgurt, betätigte den Wagenschlag und verließ das Auto.
Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht und schaute nun zur Sonne. Und das, was er sah, ließ ihn stutzen. Die Sonne war in gleicher Höhe wie zuvor. Und doch fuhren die Autos, die hinter ihm waren, mühelos weiter. Sie wurden nicht von den Sonnenstrahlen abgehalten.
Sie hatte vor wenigen Sekunden das gesamte Feld seiner Windschutzscheibe eingenommen. Etwas dergleichen hatte er, in seiner langjährigen Fahrzeit, noch nicht erlebt.
„Was, zur Hölle, war das?”, fragte er sich selbst halblaut.
Er steckte die Hände in die Tasche seiner ordentlichen Cotton-Hose. Dann schüttelte er den Kopf und stieg wieder in den Wagen ein.