Die Wege des Herrn

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    • Die Wege des Herrn

      Hank ging spazieren. Der Wind blies heftig wie eine übereifrige Bordsteinschwalbe. Plötzlich begannen sogar Mülltüten und gelbe Säcke durch die kühle Septemberluft zu segeln. Mehrere trafen Hank am Kopf. Der wusste nicht, wie ihm geschah, blieb angewurzelt stehen und konnte kaum den Geschossen ausweichen, die ihm geradezu gezielt um die Ohren zu fliegen schienen. Es war fast, als hätte Gott sich gegen ihn verschworen.
      Als er wieder einer der Tüten ausweichen wollte, verfing sich diese in seiner Hand. Hank öffnete sie und sah hinein: lauter menschliche Gliedmaßen sowie unidentifizierbares Gekröse, alles war mit Blut verschmiert.
      Hank wunderte sich nicht weiter darüber. Er war Serienkiller, spezialisiert auf Frauen, und zerstückelte seine Opfer nach der Tat und entsorgte ihre Einzelteile in exakt solchen Müllbeuteln. Der sich ihm bietende Anblick war Usus für Hank.
      Doch Moment! Dieser hier war ja einer seiner Müllbeutel! Den Unterarm dort erkannte er, konnte sich noch genau erinnern, wie er ihn abgetrennt hatte. All die Müllbeutel, welche ihm um die Ohren flogen, waren seine höchst eigenen. Eine schreckliche Erkenntnis für Hank.
      Also war doch Gott im Spiel. Zur Strafe, weil Hank die ganzen Frauen getötet hatte, haute Er ihm nun seine Müllbeutel um die Ohren wie die verärgerten Eltern ihrem ungehorsamen Sprössling dessen Spielzeug, welches er nicht anständig weggeräumt hatte.
      Spielzeug, das ich nicht anständig weggeräumt habe …
      Plötzlich kam Hank der Gedanke, dass Gott ihn vielleicht gar nicht hatte bestrafen wollen. Vielleicht hatte Er ihn lediglich darauf aufmerksam machen wollen, dass Hank die zerstückelten Leichen seiner Opfer nicht „anständig wegräumte“. Allzu gut konnten sie jedenfalls nicht versteckt sein, wenn es jedem dahergelaufenen Wind möglich war sie zu erfassen und ihm um die Ohren zu wehen. Und tatsächlich, fiel es Hank plötzlich wie Schuppen von den Augen: die letzten Müllbeutel hatte er allesamt bei sich vor die Haustür gestellt, auf dass die Müllabfuhr sie abholen möge.
      Sicher würden diese jedoch entschieden Alarm geschlagen haben, wären ihnen die abgetrennten Köpfe und Gliedmaßen und das viele Blut aufgefallen – hätte nicht Gott eingegriffen und die Müllbeutel rechtzeitig aus den behandschuhten Klauen der Müllmänner entrissen und ihm, Hank, direkt in die Hände gespielt, um ihn mit der Nase auf seine fatale Nachlässigkeit zu stoßen.
      Gott war also auf seiner Seite, schlussfolgerte Hank. Gut zu wissen. Sogleich würde er sich auf die Jagd nach seinem nächsten Opfer begeben und es nach allen Regeln der Kunst auseinander nehmen. –

      Diese Geschichte hat bewusst auf einen Spannungsbogen verzichtet. Sie sollte in der Hauptsache dem Leser die Möglichkeit einräumen, an der kranken und verquere Psyche eines Schwerverbrechers teilzuhaben. Eine äußere Handlung hätte nur abgelenkt von dem, was im Inneren des Serienkillers vor sich geht: all jene realitätsfernen und entarteten Gedankengänge, die schließlich zu der grausamen Tat selbst führen.
      Was hätte außerdem in diesem Zusammenhang eine äußere Handlung schon anderes hergeben sollen als die Zerstückelung einer Frauenleiche? Und wer so etwas lesen will, ist schließlich selbst krank genug und braucht sich nicht erst irgendwoher kundig machen über verkommene Psychen.
      Ich danke dem Leser für sein Verständnis und hoffe, ihm mit dieser Studie über den verbrecherischen Verstand etwas Kurzweil bereitet zu haben und dass er das nächste Mal einen Serienmörder erkennt, wenn er ihm gegenüber steht, und die nötigen Vorkehrungen treffen kann. Denn meine Leser sind mir lieb und teuer und ich könnte es mir niemals verzeihen, stieße ihnen etwas zu.
      YO YO YO WHAT GOES