Beinahe andächtig spazierte Herr Funke durch seine ehemalige Wohngegend. Dass es ihm dabei im Herzen zog, hatte jedoch gar nichts zu heißen: Das mussten nicht zwangsläufig schmerzhafte Erinnerungen, konnte genauso gut irgendeine Krankheit sein. Er war ja immerhin nicht mehr der Jüngste.
Gut zwanzig Jahre, rechnete der alte Mann zurück, waren vergangen, seit es ihn damals in einen anderen Teil der Stadt verschlagen hatte. Kaum etwas schien sich geändert zu haben. Noch immer beleidigten dieselben hässlichen Reihenhäuser das Auge, eins grauer als das nächste. Trostlosigkeit ging hier in den Torwegen seit Jahr und Tag ein und aus.
Wie er so der alten, traurigen Zeiten gedachte, musste Herr Funke sich eingestehen, dass es wohl doch die Erinnerungen waren, die seinem Herzen zu schaffen machten. Doch da musste er durch. Schließlich war er heute ausdrücklich hierher zurückgekommen, um die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. –
Herr Funke hatte nämlich vor zwanzig Jahren im Hinterhof des Hauses, in dem er damals gewohnt hatte, einen Baum zu pflanzen geruht. Und ob aus dem etwas geworden war – um das herauszufinden, war der alte Mann heute hier sowie offensichtlich bereit, sich seelischen Belastungen auszusetzen.
Es würde sich auch nicht um irgendeinen Baum handeln.
Man wusste von Kindern, dass sie mitunter einen Pfirsichkern verbuddelten, in der Hoffnung, eines Tages die saftigsten aller Früchte von ihrem höchsteigenen Pfirsichbaum pflücken zu können; auch Kirsch-, Apfel- und Mandarinenkerne waren schon von zahllosen Jungspunden zu diesem Zwecke unter die Erde gebracht worden.
Doch Herrn Funke hatte seinerzeit eine weitaus originellere Idee beseelt, mit welcher sich das bloße Verlangen nach frischem Obst durchaus nicht messen konnte: einen Pudelbaum zu pflanzen. Was brauchte es dazu mehr als ein geeignetes Fleckchen Erde sowie des Pudels Kern? –
In der Nachbarschaft waren damals mehrere solcher Hunde vorhanden gewesen, er hatte sich einfach einen davon geschnappt. Aufgefallen war es keinem, die Viecher sahen eh alle gleich aus. Das Schwierigste an dem ganzen Unterfangen war für Herrn Funke gewesen, den leblosen Hundekörper – nachdem er das Tier höchst selbst eingeschläfert hatte – bis aufs Skelett abzunagen: Der damals noch nicht ganz so alte Mann hatte auf Nummer Sicher gehen wollen, mit einem Pfirsich verfuhr man schließlich genauso, man kaute sich durch das den Kern umschließende Fruchtfleisch. Geschmeckt hatte es nicht.
Als das Pudelgerippe dann fein säuberlich angenagt vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte, war Herr Funke sich nicht sicher gewesen, was genau davon denn nun des Pudels Kern sein sollte. Vorsichtshalber hatte er den kompletten Knochensatz verbuddelt. Mutter Erde würde sich, davon war er ausgegangen, schon raussuchen, was sie brauchte, um einen Pudelbaum wachsen zu lassen. –
Tatsächlich, sie hatte es getan: Der alte Mann lehnte nun erschöpft in seinem alten Torweg, sah auf den Hof, und dort stand ein Baum. Er ging hin, stellte sich zu des Baumes Wurzeln auf und sah ihn sich an.
Doch der hölzerne Gesell trug keinen einzigen Pudel an seinen knorrigen Ästen.
Hilflos wandte Herr Funke sich um, wollte sicher gehen, dass dies auch der richtige Hinterhof sei: Er war es, der alte Mann erkannte die Schmierereien an den Hauswänden. Wieder sah er an seinem Baum hinauf.
Blätter hingen dort zwar – aber keine Pudel. Herr Funke verzweifelte. Ihm war ein Strich durch die letzte aller Rechnungen gemacht worden.
Er hatte heute hierher zurückkommen und einen Pudelbaum vorfinden wollen. Er hätte die Pudel von den Ästen gepflückt und mit ihren Knochen einen Palast gebaut, um sich in eben jenen die schönste aller Frauen als Gattin einzuladen, auf dass sie gemeinsam ein Kind hätten zeugen mögen. Die Früchte seines Pudelbaums wären ihm den Weg zur endgültigen Selbstverwirklichung zu ebnen imstande gewesen: Herr Funke hätte einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut sowie ein Kind gezeugt.
Doch nun war nichts aus alldem geworden. Der Faustschlag, der ein klaffendes Loch in die Mauer der Bedeutungslosigkeit seines Seins hatte schlagen sollen – dieser Faustschlag war ins Leere gegangen.
Die Wucht der Erkenntnis traf Herrn Funke so unvorbereitet und hart, dass er zwei schwankende Schritte zurücktaumelte. Voll irrer Verzweiflung gaffte er den Baum an. Gott wusste, wer ihn gepflanzt hatte; Herr Funke war es nicht gewesen. Wahrscheinlich hatte derjenige seinerzeit sogar das Pudelskelett ausgegraben und längst entsorgt.
Der alte Mann sah sein Lebenswerk zerstört. Ihm kamen heiße Tränen, voller Verbitterung weinte er sie. Dann schnäuzte er sich in seinen Schal, nahm ihn ab, machte hier einen Knoten, da einen Knoten, und erhängte sich an dem Baum, den er selbst nicht gepflanzt hatte. Und während sein lebloser Körper im Wind hin und her bommelte, tat sich plötzlich ein Astloch im Stamm des Baumes auf, zwei Dutzend Pudel sprangen heraus und nagten seine Leiche bis auf die Knochen ab, der Ironie des Schicksals wegen.
Gut zwanzig Jahre, rechnete der alte Mann zurück, waren vergangen, seit es ihn damals in einen anderen Teil der Stadt verschlagen hatte. Kaum etwas schien sich geändert zu haben. Noch immer beleidigten dieselben hässlichen Reihenhäuser das Auge, eins grauer als das nächste. Trostlosigkeit ging hier in den Torwegen seit Jahr und Tag ein und aus.
Wie er so der alten, traurigen Zeiten gedachte, musste Herr Funke sich eingestehen, dass es wohl doch die Erinnerungen waren, die seinem Herzen zu schaffen machten. Doch da musste er durch. Schließlich war er heute ausdrücklich hierher zurückgekommen, um die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen. –
Herr Funke hatte nämlich vor zwanzig Jahren im Hinterhof des Hauses, in dem er damals gewohnt hatte, einen Baum zu pflanzen geruht. Und ob aus dem etwas geworden war – um das herauszufinden, war der alte Mann heute hier sowie offensichtlich bereit, sich seelischen Belastungen auszusetzen.
Es würde sich auch nicht um irgendeinen Baum handeln.
Man wusste von Kindern, dass sie mitunter einen Pfirsichkern verbuddelten, in der Hoffnung, eines Tages die saftigsten aller Früchte von ihrem höchsteigenen Pfirsichbaum pflücken zu können; auch Kirsch-, Apfel- und Mandarinenkerne waren schon von zahllosen Jungspunden zu diesem Zwecke unter die Erde gebracht worden.
Doch Herrn Funke hatte seinerzeit eine weitaus originellere Idee beseelt, mit welcher sich das bloße Verlangen nach frischem Obst durchaus nicht messen konnte: einen Pudelbaum zu pflanzen. Was brauchte es dazu mehr als ein geeignetes Fleckchen Erde sowie des Pudels Kern? –
In der Nachbarschaft waren damals mehrere solcher Hunde vorhanden gewesen, er hatte sich einfach einen davon geschnappt. Aufgefallen war es keinem, die Viecher sahen eh alle gleich aus. Das Schwierigste an dem ganzen Unterfangen war für Herrn Funke gewesen, den leblosen Hundekörper – nachdem er das Tier höchst selbst eingeschläfert hatte – bis aufs Skelett abzunagen: Der damals noch nicht ganz so alte Mann hatte auf Nummer Sicher gehen wollen, mit einem Pfirsich verfuhr man schließlich genauso, man kaute sich durch das den Kern umschließende Fruchtfleisch. Geschmeckt hatte es nicht.
Als das Pudelgerippe dann fein säuberlich angenagt vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte, war Herr Funke sich nicht sicher gewesen, was genau davon denn nun des Pudels Kern sein sollte. Vorsichtshalber hatte er den kompletten Knochensatz verbuddelt. Mutter Erde würde sich, davon war er ausgegangen, schon raussuchen, was sie brauchte, um einen Pudelbaum wachsen zu lassen. –
Tatsächlich, sie hatte es getan: Der alte Mann lehnte nun erschöpft in seinem alten Torweg, sah auf den Hof, und dort stand ein Baum. Er ging hin, stellte sich zu des Baumes Wurzeln auf und sah ihn sich an.
Doch der hölzerne Gesell trug keinen einzigen Pudel an seinen knorrigen Ästen.
Hilflos wandte Herr Funke sich um, wollte sicher gehen, dass dies auch der richtige Hinterhof sei: Er war es, der alte Mann erkannte die Schmierereien an den Hauswänden. Wieder sah er an seinem Baum hinauf.
Blätter hingen dort zwar – aber keine Pudel. Herr Funke verzweifelte. Ihm war ein Strich durch die letzte aller Rechnungen gemacht worden.
Er hatte heute hierher zurückkommen und einen Pudelbaum vorfinden wollen. Er hätte die Pudel von den Ästen gepflückt und mit ihren Knochen einen Palast gebaut, um sich in eben jenen die schönste aller Frauen als Gattin einzuladen, auf dass sie gemeinsam ein Kind hätten zeugen mögen. Die Früchte seines Pudelbaums wären ihm den Weg zur endgültigen Selbstverwirklichung zu ebnen imstande gewesen: Herr Funke hätte einen Baum gepflanzt, ein Haus gebaut sowie ein Kind gezeugt.
Doch nun war nichts aus alldem geworden. Der Faustschlag, der ein klaffendes Loch in die Mauer der Bedeutungslosigkeit seines Seins hatte schlagen sollen – dieser Faustschlag war ins Leere gegangen.
Die Wucht der Erkenntnis traf Herrn Funke so unvorbereitet und hart, dass er zwei schwankende Schritte zurücktaumelte. Voll irrer Verzweiflung gaffte er den Baum an. Gott wusste, wer ihn gepflanzt hatte; Herr Funke war es nicht gewesen. Wahrscheinlich hatte derjenige seinerzeit sogar das Pudelskelett ausgegraben und längst entsorgt.
Der alte Mann sah sein Lebenswerk zerstört. Ihm kamen heiße Tränen, voller Verbitterung weinte er sie. Dann schnäuzte er sich in seinen Schal, nahm ihn ab, machte hier einen Knoten, da einen Knoten, und erhängte sich an dem Baum, den er selbst nicht gepflanzt hatte. Und während sein lebloser Körper im Wind hin und her bommelte, tat sich plötzlich ein Astloch im Stamm des Baumes auf, zwei Dutzend Pudel sprangen heraus und nagten seine Leiche bis auf die Knochen ab, der Ironie des Schicksals wegen.
YO YO YO WHAT GOES