Das perfekte Verbrechen

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    • Das perfekte Verbrechen

      Die Nacht brach herein. Bald würde Anton sich Gedanken über einen Schlafplatz machen müssen. Noch einmal würde er nicht im Bahnhof übernachten.
      Sie hatten ihn vor zwei Tagen aus seiner Wohnung geworfen, er hatte keine Miete mehr gezahlt. Wovon auch? dachte Anton jetzt bitter, während er ziellos die einsamen Straßen seiner Heimatstadt durchwanderte.
      Anton hatte kein Geld. Er hatte zwar Angehörige, an die er sich hätte wenden können; Eltern und Großeltern lebten noch, er war ja noch jung. Doch zu denen konnte er nicht gehen, sein Stolz ließ es nicht zu. Sie haben von Anfang an nicht an mich geglaubt. Weder an mich und Steffie noch daran, dass es mit der Wohnung gut gehen würde. Zu seiner Verwandtschaft würde Anton nicht gekrochen kommen, das stand für ihn fest.
      Doch irgendwoher brauchte er Geld. Schon den ganzen Tag lang, während er kreuz und quer und ohne Ziel durch die Stadt marschiert war, hatte Anton sich Gedanken darüber gemacht, wie er welches auftreiben sollte, möglichst viel, ein ganzes Kapital. Denn das war es, was er wollte, ein Kapital. Er würde irgendwo ganz von vorn anfangen. –
      Jetzt war es bereits dunkel, und nichts hatte ihm dieser Tag gebracht, keinen Plan, keinen Schlafplatz. Anton sah auf und bemerkte, dass er am Schlosspark war, in einer Seitenstraße. Er schaute sich um. Es war finster im Park, und niemand trieb sich dort um diese Uhrzeit mehr herum. Aber um auf einer der Bänke zu übernachten, hielt Anton in Gedanken fest, war es im Dezember entschieden zu kalt. Er überlegte weiter. Die Mietshäuser auf der anderen Straßenseite: in kaum einem Fenster hingen Gardinen. Das war nicht die feinste Gegend hier, und die meisten Appartements standen leer. Wenn er sich zu einem von denen Zutritt verschaffen konnte …
      Anton wurde in seinen Überlegungen unterbrochen, als er es von irgendwoher laut niesen hörte. Er schaute die Straße hinunter. Eine alte Frau war um die Ecke gekommen und schnäuzte sich gerade; sie hatte ihn noch nicht bemerkt. Anton blickte sich um, niemand sonst war zu sehen. Er beschloss Nägel mit Köpfen zu machen.
      Er erklomm die hüfthohe Parkmauer, unbeholfen, und schlug sich ins Gebüsch. Er stapfte einige Schritte durchs Laub, kämpfte sich durch das Gewirr von Ästen, bis er sicher war soweit im Schatten verschwunden zu sein, dass man ihn von der Straße aus nicht sehen konnte; schon gar keine alte Frau mit vor Kälte tränenden Augen.
      Anton hockte sich hin und wartete. Schließlich hörte er Schritte. Dann sah er den Hut, oder was auch immer es war, was die alte Frau da auf dem Kopf trug. Sie befand sich nun genau an der Stelle des Fußweges, an der Anton soeben ins Gebüsch geklettert war. Er räusperte sich.
      „Guten Abend, gnädige Frau“, sagte er mit verstellter Stimme, so dass sie tiefer klang; er hörte einen unterdrückten Schrei, das Klappern von Schuhen auf Bordstein riss ab. Anton konnte sich der Aufmerksamkeit der alten Frau nun sicher sein und fuhr fort: „Ich habe eine Waffe auf sie gerichtet.“ Sofort errötete er; er tat es immer, wenn er log. Doch hier im Dunkeln konnte ihn niemand sehen. „Ich möchte, dass Sie Ihr Portemonnaie hervorholen, es vor sich auf die Erde legen und dann verschwinden. Ihren Personalausweis können Sie von mir aus vorher rausnehmen. Aber das Geld bleibt drin!“
      Ohne es zu merken hatte Anton die letzten zwei Sätze mit seiner normalen Stimme gesprochen. Außerdem hörte er nichts von der anderen Seite der Mauer her, es müsste doch zumindest irgendwie rascheln, wenn die Alte jetzt ihre Börse hervornestelte. Anton war sich nicht sicher, ob er genug Eindruck auf sie gemacht, sie ausreichend verunsichert hatte. Er holte, um sich selbst aus der Verlegenheit zu helfen – und Verlegenheit sollte er jetzt besser am allerwenigsten verspüren, das war ihm klar – sein Feuerzeug aus der Jackentasche, machte damit das erstbeste Geräusch, das ihm einfiel, und sagte: „Das war das Geräusch, dass ich meine Waffe entsichert habe.“ Das klang wenig überzeugend: Anton hoffte, dass die Frau genauso wenig von Waffen verstand wie er selbst. Noch immer keine Reaktion.
      Die Frau war da, Anton sah ihren Hut zittern. Aber sonst schien sich jenseits der Mauer nichts zu tun. Vielleicht ist sie taub, fuhr es Anton durch den Kopf. Vielleicht steht sie jetzt da, schnäuzt sich lediglich und hat kein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe.
      Doch plötzlich kam Bewegung in die alte Frau. Anton hörte ihre Absätze aufs Pflaster hämmern und sah ihre Kopfbedeckung davontreiben. Er verharrte. Angespannt hockte er im Gebüsch und hoffte, dass die Alte tatsächlich ihr Portemonnaie auf dem Fußweg hinterlassen hatte. Als schließlich ihre hastigen Schritte nicht mehr zu hören waren, beschloss Anton nachzusehen.
      Doch er würde nicht zurück über die Mauer auf die Straße klettern, das war zu auffällig; nachher hing doch irgendwo jemand am Fenster. Nein, er würde sich jetzt im Dunkeln zu einem der Parkausgänge tasten, dann gemütlich um die Ecke spazieren, wie zufällig in die Seitenstraße einbiegen und dort hoffentlich eine prall gefüllte Börse finden. Und dann würde auch schon sein neues Leben beginnen, frohlockte jetzt Anton, während er im dunklen Park den Lichtern der Straßenlaternen entgegenstolperte.
      Er konnte immer noch nicht fassen, was er getan hatte. Er hatte sich genau dieses Vorgehen schon immer ausgemalt, selbst als er noch nicht in Geldnot gewesen war, sogar explizit in dieser Straße, in diesem Teil des Parks. Es war ihm immer als das perfekte Verbrechen erschienen. Und nun hatte er es begangen.
      Als Anton schließlich den Ausgang erreicht hatte, schritt er betont langsam das letzte Stück Fußweg bis zur nächsten Ecke ab und bog noch genau rechtzeitig in die Seitenstraße ein, um zu sehen, wie ein kleiner Junge gerade etwas von der Erde aufhob.
      „Oh Scheiße“; Anton biss sich auf die Lippen: Dieses kleine Drecksbalg hatte soeben seine Beute eingesackt. Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich, entschlossen begann er dem Jungen hinterher zu stapfen. Er war bereits zu weit gegangen, als dass es jetzt noch ein Zurück hätte geben dürfen. Er würde dem Jungen das Portemonnaie schon abzuknöpfen wissen.
      Als er ihn fast eingeholt hatte, drehte der Kleine sich um, erschrak und begann zu rennen. Anton biss sich abermals auf die Lippen, fluchte, und lief hinterher.
      Zunächst hielt er mit, der Junge schien nicht der schnellste Renner zu sein. Doch er hatte eindeutig die bessere Kondition. Anton ächzte und stöhnte, der Junge aber wurde nicht langsamer. Sie waren bereits einmal um den gesamten Park gerannt. „Wo will dieses blöde Kind eigentlich hin?!“ hätte Anton vor Wut beinahe geschrieen. Er konnte nicht mehr. Er blieb stehen. Der Junge rannte weiter. Doch Anton gedachte ihn nicht entkommen zu lassen.
      Das Mauerwerk war an dieser Stelle brüchig. In einem Akt der Verzweiflung nahm Anton einen der lockeren Steine und warf ihn nach dem Kind. Der Stein flog durch die Nacht, ging nieder und traf genau zwischen den Schulterblättern. Der Junge fiel nach vorn mit dem Gesicht auf die Straße – ein dumpfes Klatschen erklang – und blieb liegen.
      Entsetzt und immer noch stoßweise atmend stand Anton da und konnte wiederum kaum, was er getan hatte. Das Kind regte sich nicht. War es tot?
      Plötzlich durchzuckte es Anton. Hektisch sah er sich in alle Richtungen um. Doch noch immer waren die Straßen leer. Nirgendwo schien ein Fenster erleuchtet. Vollkommen unbemerkt waren Anton und der Junge um den Park gerannt, vollkommen unbemerkt hatte Anton ihn mit einem Mauerstein totgeschmissen. –
      Was, fuhr es ihm auf einmal durch den Kopf, wenn es nicht mal das Portemonnaie gewesen war, was der Junge vorhin aufgehoben hatte; wenn die alte Frau es nie überhaupt auf den Fußweg gelegt hatte? Vielleicht hatte der Junge sich lediglich nach einem Bonbonpapier gebückt, das ihm noch gefehlt hatte in seiner Sammlung. Und was, wenn es zwar das Portemonnaie gewesen war, aber die Alte kaum Geld drin hatte?
      All das musste Anton sofort herausfinden.
      Er war wieder etwas zu Atem gekommen und lief an die Stelle, wo der Junge lag, um ihm die Taschen zu durchsuchen. Zu Antons Glück war der Kleine genau unter einer Straßenlaterne zu Fall gekommen. Er griff ihm in beide Anoraktaschen und brachte tatsächlich eine Börse zum Vorschein, welche noch dazu eindeutig einer alten Frau gehörte; zumindest keinem kleinen Kind; sie war aus Schlangenleder.
      Anton riss sie geradezu auf, einige Münzen fielen heraus; sonst war nichts drin. Er hatte das Kind umsonst getötet, für nichts und wieder nichts; für ein paar Münzen. Verächtlich sah er auf den Boden, wo sie lagen und das Licht der Straßenlaterne zurückwarfen. Auch die orangefarbenen Reflektoren am Anorak des toten Jungen warfen das Licht zurück …
      Jetzt erst wurde Anton bewusst, was er getan hatte. Wie toll warf er seinen Kopf herum und unterdrückte Schreie der Verzweiflung. Voll Zorn biss er ins Kunstleder des gestohlenen Portemonnaies und zerrte mit den Zähnen daran. Und plötzlich riss es auf. Scheine flatterten heraus, segelten im fahlen Licht der Laterne sanft zu Boden. Anton hielt in seiner Raserei inne.
      Er bückte sich, hob einen der Geldscheine auf: ein Hunderter. Er sah sich das Portemonnaie an. Im Innenfutter klaffte eine Öffnung, wo vorher noch keine gewesen war; drin steckten zahllose weitere Scheine, gebündelt. Anton hatte in seinem Anfall das Geheimfach aufgebissen.
      Schnell stopfte er den Hunderter, den er soeben aufgehoben hatte, in die Innentasche seiner Jacke und machte sich daran, auch die übrigen Scheine, die auf die Erde geflattert waren, aufzulesen. Dabei bemerkte er noch etwas anderes, das offenbar aus dem Portemonnaie auf den Fußweg gefallen war: den Personalausweis der alten Frau. Anton lachte. Hatte die blöde Kuh ihn also doch nicht vorher rausgenommen. Was hatte sie dann überhaupt so lange hinter der Mauer gemacht?
      Er hob den Ausweis auf und sah ihn sich an. Er schaute aufs Passbild. Er schaute auf den Namen. Er kannte die Frau. Sie war seine Großmutter.
      YO YO YO WHAT GOES
    • Original von Herbstelfe
      Original von BenHaben deine Geschichten alle ein schlimmes Ende?

      in letzter zeit schon, stimmt!


      Ich finde Deinen Stil zu schreiben sehr gut - das liest sich flüssig, da stellt sich einem nichts quer im Hals, wirklich fein!

      Aber sag, wo ist das schlimme Ende?
      Er kriegt tatsächlich Cash, und dann noch dazu von Omilein - nachdem sie seine Stimme wohl erkannt haben wird, braucht er nicht einmal mit einer Anzeige zu rechnen! Daß die kleine Ratte wirklich tot ist, ist mehr als unwahrscheinlich (doch nicht, wenn ihn etwas zwischen die Schulterblätter trifft!) - und selbst wenn (Deine künstlerische Freiheit), gilt wieder: potentieller Zeuge ist ausgerechnet Omilein, und die wird doch soviel "Familiengefühl" haben, den Schnabel zu halten und im stillen Kämmerlein zu schmollen.
      Ist doch ein unerwartetes (und unverdientes) Happy-end für diesen unbedarften Amateur?!
      Oder wie ist das von Dir gemeint?
      Homo est Deus
      utrolibet.de
    • seine oma hat ihn nicht erkannt. er hat halt das geld gekriegt, aber im endeffekt hätte er's auch leichter haben können, nur oma fragen; dann wär's auch gegangen ohne das kind kaputt zu schmeißen. stimmt, so schlimm ist das ende nicht, er hat immerhin die kohle! aber zu welchesm preis

      aber kann natürlich jeder sehen, wie er will, ich schreib da nichts vor, wa!
      YO YO YO WHAT GOES

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