Drei Uhr sechsundzwanzig. Die "3" ist eine magische Zahl und die "6" eine menschliche (oder tierische, je nachdem, wie man es betrachtet).
Ich sitze hier in einer von gänzlicher Schwärze umgebenden Räumlichkeit, träume von Frank Sinatra und Sammy Davis Jr., wünschte, ich wäre irgendwo in Las Vegas, in einen der großen Spielhöllen, und würde eine Welt betrachten, die erfüllt von Exoten ist, und wo die "Normalen" lediglich als "Touristen" angereist sind.
Oder in einer Stadt erfüllt von Vampiren und Monstern. Monster, die die Andersartigkeit der Leute symbolisieren.
Eines Tages habe ich festgestellt, dass der schwarze Mann, der Süßigkeiten anbietet um die Kinder mit sich zu locken, vor dem mich meine Eltern stets warnten, ich selbst war. Das Problem war nur, dass ich nicht aufhören konnte, mich von meinerselbst beeinflussen zu lassen.
Als ich diese elementare Erkenntnis gewann, las ich gerade "John Sinclair" und merkte, dass ich nicht ihn mochte, sondern all die Monster, die er bekämpfen sollte. Das war auch ungefähr die Zeit, in der ich angefangen hatte, Frank Sinatra und Elvis Presley zu hören und die "Sopranos" das erste Mal im Fernsehen gesendet wurden und ich mir die 30iger Jahre zurück wünschte. Was ist besser, als diese eingegrabenen Straßen, der wirtschaftliche Boom, das verruchte Hollywood? Freiwillige Prostitution, die Männer waren noch Gentlemen und die Frauen nutzen ihre Macht, die sie zweifelsohne aufgrund ihrer Intelligenz und ihres Sexeapples hatten. Die Menschen hatten Mut zur Andersartigkeit, weil es keine Richtigkeit gab. Sie trauten sich zur Individualität, weil sie die einzigen waren, denen sie in den wirtschaftlichen Zeiten vertrauen konnten- neben ihrem Bankkonto natürlich. Sie kleideten sich individuell, redeten individuell, vertraten individuelle Überzeugungen- all das, wofür man heute eine Person wie zum Beispiel Marilyn Manson zur Haßfigur erkoren hat.
Die heutigen Zeiten sind so androgyn wie eine Made- nur, dass Maden dazu noch etwas produktiver sind als Menschen. Die "Mode" lässt kaum Spielraum für eigene Entwicklungen. Parties sind moderne Swingerclubs und wer bei den Gothics nicht gerade schwarz trägt und sich mit Komasaufen auskennt, ist allenfalls ein Opfer auf dem Altar der Toleranz, die diese Szene für sich selbst beschworen hat, während sie im Schleier der Masse irgendwelcher Metalkonzerte untergeht und sich etwas zum Ficken sucht. Die Stupidität also ist dieselbe, wie sie es auch in der Popkultur ist.
Ich für meinen Teil asoziiere die Nacht nicht mit irgendwelchen Möchtegern-Vampiren, die auf Jagd gehen (nach was auch immer), sondern mit dem glitzernden Neonlicht, das zu den 30igern eine ziemlich oft genutzte und geliebte Erfindung war. Ich asoziiere mit der Nacht Elvis Presley, Sammy Davis Jr., Frank Sinatra und die gesamte Swing-Kultur der 30iger. Ich sehe Frauen, die noch Frauen waren und nicht ihre BHs verbrannten und ihre Sexualität wie einen unliebsamen Flusen unter den Teppich kehrten. Und ich sehe Männer, die noch erträglich waren, und keine kleinen Spastis, die den ganzen Tag irgendeine schreckliche Musik hören und meinen, sie wären cool, wenn sie Gangslang benutzen.
Ich sehe Epochen an mir vorbeilaufen, denen allesamt eine ästhetische Kostbarkeit nicht abzusprechen ist. Seien es nun die mittelalterlichen Folterinstrumente, die, aufgrund ihrer Mächtigkeit, eine so große Faszinationskraft auf mich ausüben, die Zeiten des 17. Jahrhunderts, die für die Seeräuber (zum Beispiel Blackbeard) bekannt waren, sei es das Frühmittelalter, die Epoche der Neuordnung, und das deutsche 17. Jahrhundert in der barocken Neuordnung (ich weiß, ich mache einige Sprünge). Die Rennaissance-Zeit, in der sich die Menschen emanzipierten und sowohl der Papst als auch Luther intellektuelle Schelte bekamen. Oder der Anfang der Neuzeit, in der Freud zum ersten Mal den Nutzen der Sexualität für die menschliche Entwicklung erwähnte und ausarbeitete.
All diesen Epochen möchte ich einen Raum bieten; in einem großem, trapezoid-förmigem Haus. Die Zimmer sollen keinerlei Harmonie folgen; sie sollen bedrohlich sein im Schnitt und ihre wertvollen Repräsentationsgegenstände sollen Macht ausstrahlen. Sei es nun ein Hotelzimmer im Stile der 30iger, das, auf einem altem Radio, Jazzmusik in Endlosschleife spielt; im Hintergrund eine Hotel-Leuchtreklame und ein Mädchenkalender im damaligem Sinne. Oder ein altes Kellergewölbe, in dem sich Kerkertrakte mit Folterinstrumenten befinden, und irgendwo ist ein Trakt, der in den Bereich Draculas Gespielinnen führt. Oder ein kleines Lokal im 60iger-Stile. Und meine Wenigkeit, inmitten all dieser individualistischen Personen, die Frank Sinatras "My Way" lauschen. Ich trage einen roten Glitzeranzug und rauche eine Zigarre. Vor mir, an der Bar, ein junger Mann, der Ähnlichkeiten mit dem alten Humphrey aufweist, und irgendeinen verruchten Typen sucht, der seine Frau betrogen hat.
Diese Gedanken habe ich in der Nacht. Weshalb? Die Nacht stellt einen Ruhezustand dar. All die unliebsamen Charaktere der Gegenwart entspannen sich, während ich nicht darin ruhen kann, mich an die Vergangenheit zu erinnern- eine Traumvergangenheit, gewiß, aber eine Vergangenheit, die sich mir als einziges lebenswertes Modell erschließt. Ich kann den Menschen und Ansichten der Neuzeit nichts abgewinnen. Nur kann ich Verachtung für sie empfinden...