Scio Nescio?

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    • Scio Nescio?

      Angeregt durch Russell möchte ich einmal die Frage aufwerfen, was wir wissen können. Was "wahr" und was "falsch" ist. Und ob es so etwas wie "eingeborene" Ideen gibt. Russell lässt in "Problems of philosophie" dazu elegant das meiste offen. Und so wende ich mich vertrauensvoll an euch :)

      Ich schreibe dazu auch noch was, aber jetzt wirds schon langsam spät und meine Gedanken sind etwas wirr..
    • Rein theoretisch betrachtet wissen wie eigentlich gar nichts. Ich für meinen Teil glaube vielmehr, dass man eher glaubt zu wissen. Das ist zumindest das was aufgrund einer allgemeinen Betrachtung mit dem Anzweifelfilter dabei herauskommt. Du kannst Alles anzweifeln. Sowohl um an Etwas zu glauben als auch um zu wissen braucht es Vertrauen. Vertrauen in etwas Höheres mit der Vermutung, dass es dies gibt ( Religion ) oder in sich Selbst und seine Erfahrungen, die man gemacht hat ( Forschung ). Wissen ist natürlich immer so aktuell wie es nicht wiederlegt wird. Wobei es immer Bereiche gibt, die wahrscheinlich nie wirklich ihre wilden Spekulationen entbehren werden ( Universum und Gott ). Ein Beispiel hierfür wäre dann wohl die Hohlwelttheorie.
      Als Wissenschaftler vertraut man darauf, dass man nicht falsch liegt. Denn sie können schließlich keine Ergebnisse vorzeigen, die nicht haltbar sind. Dabei vertrauen andere Menschen darauf, also Laien, dass das schon seine Richtigkeit hat. Ich meine, schließlich sind es Wissenschaftler. Manchmal reicht womöglich schon das Vokabular der Fachsprache aus um die eigene Stellung zu untermauern.
      Ein Fall wie Darwin zeigt zum Beispiel auch, dass Wissen zumeist ein durch die Gesellschaft bestimmtes und vom Zeitgeist zurechtgeschnittenes Phänomen ist.
      Noch einmal zum Punkt des Anzweifelns. Dadurch erhalten Verschwörungstheorien unter Anderem ihren Nährboden. Auch was die Sinne angeht so kann man zweifeln. Was ist Realität? Was ist Existenz? Ist die Welt eine Illusion? Oder bin Ich es?
      Gibt es "Ich" überhaupt? Man vertraut den Sinnen und die Sinne erhalten ihre Bestätigung durch die anderen Sinne.
      Mea Culpa: "Ich glaube, du bist von uns Beiden der mit den vielen Ideen..."
      Lord Syn: " Und du der, der sie nicht umsetzt!"
    • *g* Danke für das Fragezeichen im threadtitel.

      Für mich liegt eine klare Trennung vor zwischen "wahr und falsch" und eingeborene Ideen. Wenn du von eingeborenen Ideen sprichst, landest du ziemlich fix bei Descartes Unterteilung von angeborenen, von außen kommenden und von einem selbst gebildeten Ideen. Und auch wenn hier ein Zirkelschluss vorliegt, ist der Gedankengang an sich spannend, wenn auch gebunden. Die angeborenen Ideen erhalten dabei einen besonderen Stellenwert, da ihr Ursprungsort nicht geklärt werden kann. Diese Ideen werden aufgrund des metaphysischen Grundsatzes „causa aequat effectum“ hergeleitet, der besagt, dass in einer zureichenden Ursache mindestens ebenso viel Sachgehalt sein muss, wie in ihrer Wirkung. Entsprechend kann in der Wirkung nichts vorkommen, was nicht zuvor in der Ursache als Kraft angenommen wurde, d. h. es kann nichts Gehaltvolleres aus weniger Gehaltvollem entstehen. Die Vorstellungen sind also Bilder, die möglicherweise schwächer sind als die Dinge, von denen sie herrühren, aber nie stärker.
      Aufgrund dieses Grundsatzes wird bestätigt, dass die eingeborenen Ideen, Vorbilder haben, die - wenngleich nicht nachweisbar existent - solch einen Stellenwert haben müssen, dass diese in uns Bilder abzeichnen, die auch für die denkunabhängige Realität bedeutsam sind. Demnach sind wir grundsätzlich in der Lage, objektive Erkenntnis über die Wirklichkeit zu erlangen, also in wahr und falsch zu unterteilen. Dass wir uns dennoch irren, liegt im falschen Gebrauch, unserer Fähigkeit über die Wirklichkeit zu urteilen. Dieser falsche Gebrauch erwächst durch den Erfahrungsschatz des einzelnen Menschen.

      Für mich selbst ist allerdings Lockes Ansatz zur Entstehung von Ideen schlüssiger (auch wenn der Ursprung der Kausalkette natürlich Quatsch ist. :()
      Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensibus. Also den Geist des Menschen als Tabula rasa zu sehen, welche aber aufgrund Erfahrungen, Wahrnehmungen, Erkenntnissen "beschrieben" wird. Dieser Ansatz ist - für mich - einer der wenigen, der sich nicht auf etwas "Höheres" berufen muss, um die Wirklichkeit als solche darzustellen. Die ideae innatae nach Descartes zeigen nur wieder eine Abhängigkeit, die "wahr und falsch" in einen Zusammenhang stellt, der zwangsläufig auf Wunsch von xxx passiert, statt in der Natur (*schluck*) des Menschen begründet zu sein. Dem Menschen wird also die Vernunft abgesprochen selbst zu unterscheiden. Inwiefern diese Unterscheidung allerdings zur "Wahrheit" führt, ist nicht das ausschlaggebende Argument. Denn sobald die Möglichkeit der vernunftsgemäßen Wahrnehmung und Verknüpfung gegeben ist, ist auch die Möglichkeit der Wahrheit gegeben.
      Procrastination is like masturbation:
      It feels good in the begining, but in the end you realize you just fucked yourself.
    • Nun, wie heist es doch? Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. Wie immer bringt schwarz/weiß malen auch bei dieser Frage nicht das geringste. Eine absolute Sicherheit ist über nichts zu finden womit eine völliges wahr/falsch unmöglich wird. Hier setzt uns auch die moderne Forschung eine Grenze die nurnoch ein vielleicht zulässt (Heisenbergsche Quantenunschärfrelation).

      Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen.
      Das kleine Rote Buch - Mao Zedong

      Ich bin ja auch nur irre in Kombination mit einem Ticken diabolischer Intelligenz. So eine Art Montgomery Burns auf Crack mit einem Gewaltproblem.
      Avalon
    • Danke erstmal für eure Antworten.

      Zuerst einmal meine eigene Sicht:
      "Wahr" und "Falsch" sind für mich Begriffe, die ein Umfeld prägt. Meiner Ansicht nach gibt es keine "eingeborenen Ideen" in einem komplexen, und das ist wichtig, reflektierten Zusammenhang. Es erscheint logisch, dass auch Babys bereits Reflexe und beschränktes Wissen über ihre Welt besitzen. Aber die Unterscheidung in Täuschung und Wahrheit gelingt ihnen wohl nicht sonderlich gut, meiner Meinung nach einfach, weil sie nur beschränkt Zeit dafür aufwenden können, die komplexen Reflektionen zu entwickeln, die zum begründeten Nachdenken über Wahrheit gehören.
      Hier liegt ja auch eine Krux: natürlich können wir uns vorstellen, dass Babys bereits "intuitiv" Realität 'erkennen' können. Aber ihnen fehlt die Ausdrucksmöglichkeit und die Begründung für ihre Erfahrung, die also schlicht als "sein" und damit nicht im Spannungsfeld des Dualismus zu sehen ist.

      Ich glaube ja, die heutige Zeit hätte Descartes besser gefallen. Ok, vielleicht hat er sich seine extrinsischen "Vorbilder" anders ausgemalt, aber ich denke wir können sagen, dass dafür mit den Genen und der Prägung im Mutterleib ein paar ganz gute Erklärungen bereitstehen. Zugegeben, ein Feld mit tausend Fragen für jede Antwort. Aber ich denk, wir sind ein paar Schritte gekommen, in den Jahrhunderten...
      Allerdings sträube ich mich schon gegen das Axiom, jede Wirkung müsse eine gleichmächtige Ursache haben - was ist mit der spontanen Teilchenentstehung, der wir die Strahlung an schwarzen Löchern zu verdanken haben?

      Wohl ist Lockes Ansatz verlockend, gerade wenn man der Erfahrbarkeit der Natur Priorität einräumt. Dennoch finde ich es nicht richtig, von einer tabula rasa zu sprechen. Ich muss mal graben gehen, aber ich erinnere mich an eine Zwillingsstudie zum Thema Charakter und Umwelteinfluss auf Erfahrung. Ich gebe dir ja Recht, dass es einiges einfach machen würde, aber ich bin nicht überzeugt.
      Überdies bestreite ich, dass allein die Möglichkeit zu vernunftgesteuerter Wahrnehmung eine "wahre" Erkenntnis der Dinge produziert. Solches können wir, da stimme ich mit Russell überein, nur von unserer unmittelbaren Erfahrung sagen. Und das heißt eben "ich sehe einen braunen Tisch" mag eine wahre Aussage sein (und selbst an der kann ich zweifeln!), aber nie kann ich die Aussage "Dieser Tisch ist braun" als "wahr" beurteilen. (Wohl kann ich, nachdem ich die Existenz physischer Objekte anerkannt habe, von diesem Objekt sagen, es besitze eine Qualität, die ich als "braun" wahrnehme.)

      Ich buddel nochmal ein wenig im Russell, da sind noch einige Stellen unklar geblieben.

      @Braindead: nein, das ist nicht richtig. Wahrheit liegt fast immer im Auge des Betrachters. Über bestimmte Dinge gibt es einfach Gewissheit, weil sie unmittelbar sind. Wenn ich sage "Ein Kreis besitzt keine gerade Strecke", dann ist dies eine gewisse Aussage. Du kannst die Existenz von A priori Aussagen nicht vollständig leugnen. Wie die frühen Empiristen darauf zu beharren, die Algebra sei ebenfalls Eindruckssache ist hirnverbrannt. Russell zeigt das sehr schön, indem er unterscheidet zwischen unserer Vorstellung von "2+2=4" (nämlich einer beliebigen Instanz von zwei Sachen und zwei Sachen) und dem aktuellen, abstrakten Sachverhalt, den wir kommunizieren.
      Und bitte - wenn die Heisenbergsche Unschärferelation als "wahr" angenommen wird, dann mag zwar alles unsicher sein, aber wenigstens die Aussage "Die heisenbergsche Unschärferelation gilt" ist gewiss.
    • Original von MoD3000
      @Braindead: nein, das ist nicht richtig. Wahrheit liegt fast immer im Auge des Betrachters. Über bestimmte Dinge gibt es einfach Gewissheit, weil sie unmittelbar sind. Wenn ich sage "Ein Kreis besitzt keine gerade Strecke", dann ist dies eine gewisse Aussage. Du kannst die Existenz von A priori Aussagen nicht vollständig leugnen. Wie die frühen Empiristen darauf zu beharren, die Algebra sei ebenfalls Eindruckssache ist hirnverbrannt. Russell zeigt das sehr schön, indem er unterscheidet zwischen unserer Vorstellung von "2+2=4" (nämlich einer beliebigen Instanz von zwei Sachen und zwei Sachen) und dem aktuellen, abstrakten Sachverhalt, den wir kommunizieren.
      Und bitte - wenn die Heisenbergsche Unschärferelation als "wahr" angenommen wird, dann mag zwar alles unsicher sein, aber wenigstens die Aussage "Die heisenbergsche Unschärferelation gilt" ist gewiss.


      Ich entschuldige mich im Vorfeld für die Form meines Einwurfes, doch ich wollte es so simpel und greifbar wie möglich gestalten.

      In dem Moment, indem du dich stellst und sagst "Das ist ein Kreis" muß dies ja noch lange nicht der Wahrheit entsprechen. Immerhin filtert dein Gehirn deinem Verstand vorweg Informationen heraus, die unnötige Verwirrung erzeugen könnten. Ein Kreis muß also nicht wirklich ein Kreis sein, sondern kann auch eine Verdichtung gerader Strecken sein.
      Natürlich ist das jetzt etwas sehr geschissen, aber ich wollte dich nur einmal darauf aufmerksam machen daß du unmöglich dein subjektives Universum als das Tatsächlich objektive ansehen darfst.
      Solange du nur eine Idee des objektiven Universums hast, so wie die Idee des "perfekten Kreises", bleibt alles dennoch spekulativ und muß nicht zwangsläufig auch der tatsächlichen objektiven Wahrheit entsprechen.
      Du kannst also nicht sagen "Dort ist ein (perfekter) Kreis" sondern nur "Dort ist etwas, was nach meiner Idee eines Kreises, ein Kreis sein könnte.".

      Ps: Auf den Titel, eine "tiefgründige" Antwort: Abyssus abyssum invocat.
      [Blockierte Grafik: http://home.arcor.de/sehtos/signatur3.jpg]
      Sic Luceat Lux

      Mein Blog
    • Deswegen sage ich nicht reflektiert "da ist ein Kreis". Deswegen habe ich die Erwähnung der objektiven Realität ja außen vor gelassen. "Ein Kreis hat keine geraden Strecken" ist eine Aussage über abstrakte Formen, die allein Universale berühren, um mit Russels Worten zu sprechen.
    • Original von MoD3000
      Es erscheint logisch, dass auch Babys bereits Reflexe und beschränktes Wissen über ihre Welt besitzen. Aber die Unterscheidung in Täuschung und Wahrheit gelingt ihnen wohl nicht sonderlich gut [...]


      Auch Babys "fremdeln", unterscheiden also zwischen bekannt und unbekannt. Zwischen Mutter und Nicht-Mutter. Sie beginnen dieses Verhalten aber erst nach einer gewissen Zeit, also wenn die tabula rasa schon zum Teil beschrieben ist durch Erfahrungen wie Geruch der Mutter oder Stimme.


      Allerdings sträube ich mich schon gegen das Axiom, jede Wirkung müsse eine gleichmächtige Ursache haben - was ist mit der spontanen Teilchenentstehung, der wir die Strahlung an schwarzen Löchern zu verdanken haben?


      Eine mindestens gleich große Ursache. Aber ja. Natürlich ist das Prinzip „causa aequat effectum“ ein Zirkelschluss, war aber für Descartes Ansatz absolut unabdingbar um den Gottesbeweis erbringen zu können, welchen er brauchte um die Wahrheit der Gedanken nachzuweisen. Du darfst auch nicht den gesellschaftlichen Hintergrund vernachlässigen, in welchem Descartes schrieb. Eine Philo ohne Gott war (noch) nicht wirklich vertretbar.


      Überdies bestreite ich, dass allein die Möglichkeit zu vernunftgesteuerter Wahrnehmung eine "wahre" Erkenntnis der Dinge produziert.


      Das hab ich auch nicht geschrieben. Nur dass die Möglichkeit eine weitere Möglichkeit eröffnet. Denn wenn die Möglichkeit einer vernunftgesteuerten Wahrnehmung NICHT die Möglichkeit der wahren Erkenntnis zuließe, müsste die Wahrnehmung zwangsläufig zum Irrtum führen. Damit wäre jeder Erfahrungsschatz, welcher durch Vernunft bewertet wird, hinfällig als Möglichkeit der Wahrheitsgewinnung.
      Und hier lässt sich Locke auch mit der Wahrnehmung bei Kleinkindern in Einklang bringen. Im Mittelpunkt steht die Unterscheidung von sensations und reflections.
      Denn demnach sind auch reflections, also die inneren Eindrücke, wie z. B. dem normalen Trieb nach Muttermilch, eigentlich Erfahrungen, die nach der Geburt auf die tabula rasa gebracht werden. Also unterscheidet bereits der Säugling in richtig (satt) und falsch (hungrig). Und es IST keine eingeborene Idee wie nach Descartes, aber auch kein reiner Instinkt.


      Solches können wir, da stimme ich mit Russell überein, nur von unserer unmittelbaren Erfahrung sagen. Und das heißt eben "ich sehe einen braunen Tisch" mag eine wahre Aussage sein (und selbst an der kann ich zweifeln!), aber nie kann ich die Aussage "Dieser Tisch ist braun" als "wahr" beurteilen.


      Das ist der Schritt der Erkenntnis und nicht der Wahrnehmung. Du kannst den Tisch als braun wahrnehmen, aber erkennen, dass er "wirklich" braun ist, kannst du erst durch die Verknüpfung deiner Idee von braun (hier eine sensations) mit der eigentlichen Wahrnehmung des Tisches. Hier ist es (Lockes Dreischritt) eine sensitive Erkenntnis, also ein Erfassen der Existenz realer Gegenstände. Auch hier wieder durch Erfahrung. Wobei die sensitive Erkenntnis hier keine Erkenntnis im engeren Sinne darstellt, sondern von ihm einfach als "unumstößlich" angenommen wird.
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    • "was ist wirklichkeit, wie definiert man das, realität? wenn du darunter verstehst was du fühlst, was du riechen, schmecken oder sehen kannst, ist die wirklichkeit nichts weiter als elektrische signale interpretiert von deinem verstand"
      Morpheus zu Neo - Matrix I

      ziemlich genau so sehe ich das ganze auch, ich finde das einzige was man wirklich sagen kann ist "ich bin", bzw "es existiert etwas das ein "selbstgefühl" hat" alles weitere ist ungewiss, das ganze hier könnte genausogut nur ein traum sein ...
      Klar bin ich verrückt, aber das heißt nicht,
      dass ich falsch liege. Ich bin irre, aber nicht krank.
      - [Werewolf Bridge, Robert Anton Wison]

      Dieser Beitrag wurde bereits 1 mal editiert, zuletzt von SonicX3 ()

    • @SonicX3: Unbelassen, es gibt m.E. einfach keinen archimedischen Punkt, von dem aus du die Philosophie wieder aus dem decarteschen Loch holst. Allerdings sollte man sich fragen: wozu dient diese Betrachtung? Natürlich geben wir dann mit der Beschränkung unserer Erkenntnisfähigkeit auch zu, dass Philosophie uns nicht der Weisheit letzten Schluss liefern kann.
      Aber wir können und wollen mit Philosophie ja gerade in den (zu findenden) Grenzen des Machbaren unsere Welt überdenken. Demzufolge wäre es unsinnig, nicht eine Welt zu erschließen, die ja offensichtlich Regeln und Gesetzmäßigkeiten unserer Beobachtung nach unterliegt. Also gehen wir getrost davon aus, dass wir diese Welt als etwas (irgendwie) Existentes betrachten können, das mit uns als Individuen interagiert. Und nur auf die Untersuchung des "Wie?" kommt es uns an.

      Original von Amalthea
      Original von MoD3000
      Es erscheint logisch, dass auch Babys bereits Reflexe und beschränktes Wissen über ihre Welt besitzen. Aber die Unterscheidung in Täuschung und Wahrheit gelingt ihnen wohl nicht sonderlich gut [...]

      Auch Babys "fremdeln", unterscheiden also zwischen bekannt und unbekannt. Zwischen Mutter und Nicht-Mutter.

      Guter Punkt. Ich denke aber, hier geht es um die Unterscheidung zwischen Täuschung und Realität. Wenn ich fordere, dass sie "unterscheiden" können, dann will ich ja, dass sie reflektierend erkennen, dass etwas nicht so ist, wie es scheint. Meinst du, wenn sie ihre Mutter von "den anderen" unterscheiden, findet eine Ent-täuschung statt?

      Allerdings sträube ich mich schon gegen das Axiom, jede Wirkung müsse eine gleichmächtige Ursache haben - was ist mit der spontanen Teilchenentstehung, der wir die Strahlung an schwarzen Löchern zu verdanken haben?

      Eine mindestens gleich große Ursache. Aber ja.

      Wenn ich nicht annehme, dass diese Wirkung außerhalb unseres Systems zu suchen ist, andererseits aber annehme, dass dieses finit ist? Nein (sagst du ja selber). Eine der beiden Annahmen muss fallen - dass Descartes gleich beide weggegeben hat, war durchaus ein Verlust.

      Denn wenn die Möglichkeit einer vernunftgesteuerten Wahrnehmung NICHT die Möglichkeit der wahren Erkenntnis zuließe, müsste die Wahrnehmung zwangsläufig zum Irrtum führen. Damit wäre jeder Erfahrungsschatz, welcher durch Vernunft bewertet wird, hinfällig als Möglichkeit der Wahrheitsgewinnung.

      Ich denke, das kommt stark auf deinen Wahrheitsbegriff an. Ich kann guter Dinge sagen, ich habe eine persönliche Wahrheit gefunden - die Wahrnehmung, dieser Tisch "ist" braun (das, was du als Wahrnehmung bezeichnest, was aber im reflektierten Aussprechen aber eben auch eine Erkenntnis, nämlich über mich, beinhaltet). Damit finde ich aber gleichzeitig eine gegenständliche Wahrheit: ich nehme etwas wahr, was für mich wie braun aussieht. Über diesen Akt der Wahrnehmung kann ich etwas aussagen, über die zugrundeliegenden Gegenstände, die "Dinge an sich", nicht.

      Denn demnach sind auch reflections, also die inneren Eindrücke, wie z. B. dem normalen Trieb nach Muttermilch, eigentlich Erfahrungen, die nach der Geburt auf die tabula rasa gebracht werden. Also unterscheidet bereits der Säugling in richtig (satt) und falsch (hungrig). Und es IST keine eingeborene Idee wie nach Descartes, aber auch kein reiner Instinkt.

      Mir fehlt die biologische Erfahrung für dieses konkrete Beispiel. Ich werde versuchen, das bei Gelegenheit nachzubessern. Was lässt dich derweil ausschließen, dass es sich hier um reinen Instinkt handelt? Irgendwie fehlt mir in der Argumentationskette ein Stück.

      Du kannst den Tisch als braun wahrnehmen, aber erkennen, dass er "wirklich" braun ist, kannst du erst durch die Verknüpfung deiner Idee von braun (hier eine sensations) mit der eigentlichen Wahrnehmung des Tisches. Hier ist es (Lockes Dreischritt) eine sensitive Erkenntnis, also ein Erfassen der Existenz realer Gegenstände. Auch hier wieder durch Erfahrung. Wobei die sensitive Erkenntnis hier keine Erkenntnis im engeren Sinne darstellt, sondern von ihm einfach als "unumstößlich" angenommen wird.

      Ich glaube, als Locke Anfänger (*schäm*) wirst du mir das nochmal in anderen Worten erklären müssen. Ich hab das dumme Gefühl, dass wir dasselbe mit anderen Worten sagen...
      Was meint genau eine "sensitive Erkenntnis" - in etwa das, was ich als Wahrnehmung bezeichnet habe?

      Mir ist halt wichtig, dass "Erkenntnis" von der "Wahrnehmung" getrennt wird durch die Reflektion über die Sache. Mit dieser aber verliere ich die Objektivität, weil ich die Sache quasi in meinen Erkenntnishorizont eintauche. Wenn ich mich hier dann dazu verleiten lasse, eine "ist" Beziehung über sinnliche Eindrücke zu postulieren, fehlt mir schlicht die Überprüfungsmöglichkeit der Aussage.

      In einem Satz, um es auch den Einsatzlesern schmackhaft zu machen ( ;) :( Wahrnehmung ist persönlich und objektiv wahr, sobald ich aus dieser Schlüsse auf die betrachtete Sache ziehe, mithin verallgemeinere, kann, muss ich aber nicht, eine Wahrheit aussagen.
    • Original von MoD3000
      @SonicX3: Unbelassen, es gibt m.E. einfach keinen archimedischen Punkt, von dem aus du die Philosophie wieder aus dem decarteschen Loch holst. Allerdings sollte man sich fragen: wozu dient diese Betrachtung? Natürlich geben wir dann mit der Beschränkung unserer Erkenntnisfähigkeit auch zu, dass Philosophie uns nicht der Weisheit letzten Schluss liefern kann.
      Aber wir können und wollen mit Philosophie ja gerade in den (zu findenden) Grenzen des Machbaren unsere Welt überdenken. Demzufolge wäre es unsinnig, nicht eine Welt zu erschließen, die ja offensichtlich Regeln und Gesetzmäßigkeiten unserer Beobachtung nach unterliegt. Also gehen wir getrost davon aus, dass wir diese Welt als etwas (irgendwie) Existentes betrachten können, das mit uns als Individuen interagiert. Und nur auf die Untersuchung des "Wie?" kommt es uns an.

      wozu diese einstellung dient? ohne lang herumzureden: sie erinnert mich daran nichts als "absolut" anzusehen, sondern als eine möglichkeit, eine idee, etwas als eine von vielen wahrheiten zu erkennen. und so den geist flexibel halten
      Klar bin ich verrückt, aber das heißt nicht,
      dass ich falsch liege. Ich bin irre, aber nicht krank.
      - [Werewolf Bridge, Robert Anton Wison]
    • Original von MoD3000
      Ich denke aber, hier geht es um die Unterscheidung zwischen Täuschung und Realität. Wenn ich fordere, dass sie "unterscheiden" können, dann will ich ja, dass sie reflektierend erkennen, dass etwas nicht so ist, wie es scheint. Meinst du, wenn sie ihre Mutter von "den anderen" unterscheiden, findet eine Ent-täuschung statt?


      Jau. Sicher sogar. Du brauchst nur das Verhalten des Kleinkindes beobachten. Du nimmst das Kleine als Nicht-Mama auf den Arm, es beginnt zu kuscheln und sich umzuschauen, dann nimmt es die Veränderung (Geruch usw.) wahr und reagiert mit Weinen.
      Es hat die Täuschung "Frau=Mama" enttarnt und realisiert, dass da was falsch läuft.
      Also findet auch hier eine Unterscheidung zwischen Täuschung und Realität statt.

      Eine der beiden Annahmen muss fallen - dass Descartes gleich beide weggegeben hat, war durchaus ein Verlust.


      Welche hättest du behalten wollen? Bei Descartes bedingt die eine Annahme die andere Annahme um zum (Zirkel-)schluss zu kommen. Sprich: Das eine ist ohne das andere nutzlos. Wenn die Ursache fällt, ist die Wirkung keine Wirkung mehr. Und wenn die Wirkung fällt, ist die Ursache keine Ursache mehr.
      Wenn man die Begrifflichkeiten "stutzt" zu Annahme und Ergebnis, ergibt sich ein neues Bild:
      Ich kann eine Annahme haben ohne auf ein Ergebnis zu stoßen und die Größe der Annahme ist irrelevant für die Größe des Ergebnisses. Auch kann ich ein Ergebnis betrachten ohne die "Rechnung" dahinter zu sehen.
      Aber wenn du bei Ursache und Wirkung bleibst (wie Descartes es leider getan hat), muss beides fallen um einen neuen Ansatz zu konstruieren.

      Über diesen Akt der Wahrnehmung kann ich etwas aussagen, über die zugrundeliegenden Gegenstände, die "Dinge an sich", nicht.


      Das ist genau das, was Locke eben bestreitet. :)
      Ich versuch mal Locke kurz zu umreißen, dann hoff ich, dass sich auch der Rest klärt. Deine später angesprochene Lücke in der Argumentationskette allerdings ist tatsächlich gegeben.

      Locke ging, genauso wie Descartes, vom Zweifel aus. Um den Zweifel loszuwerden bediente auch er sich der Ideen. Allerdings lehnte er die Annahme eingeborener Ideen ab und setzte die Wahrnehmung als Ideenliferant zwischen Annahme und Realität.
      Ausgangspunkt um am End zur Realität, also der Er-Kenntnis zu kommen, ist die Wahrnehmung. Es hat zwei Arten von Wahrnehmung:
      Äußere Wahrnehmung (sensations) - hier der Tisch an sich
      Innere Wahrnehmung (reflections) - z. B. der Wunsch, diesen Tisch zu besitzen

      Aus diesen Wahrnehmungen/Eindrücken, aus denen ja Erfahrung entsteht (Du erkennst, sobald du einen Tisch gesehen hast, auch andere Tische als solche) formen sich dann die Ideen. Allerdings formen sich diese nicht nur durch die sinnliche Wahrnehmung, sondern auch durch die gedankliche Leistung des Menschen. Es reicht also nicht, dass du den Tisch siehst, sondern du musst auch die gedankliche Leistung erbringen ihn als solchen zu identifizieren und nicht mit einem Stuhl zu verwechseln (Ganz großer Unterschied zu Descartes Gottesidee!!!).
      Um allerdings einen Tisch als solchen zu erkennen (4 Beine, Platte) reichen "einfache" Ideen.
      Locke ging allerdings tiefer. Um den Tisch zu spezifizieren (Holz, schön, glatt, raumeinnehmend usw) braucht es komplexere Ideen.
      Diese unterteilt er in:
      - Substanzen (Dinge, die einfach existieren...und hier hast du deine Lücke in der Argumentation)
      - Relationen (meint das Verhältnis von Ideen zueinander)
      - Modi (meint nicht sichtbare Ideen wie Dankbarkeit oder Liebe)

      In unserem Beispiel sind die Substanzen entscheidend, denn hier trennt sich die Wahrnehmung. Er hat hier noch mal gesplittet in:
      - primäre Qualität (Festigkeit, Raum)
      - sekundäre Qualität (wie warm z. B. die Tischplatte ist)

      In den sekundären Qualitäten findet sich dann deine "eigene Wahrheit", da die Wahrnehmung von Wärme usw. subjektiv bleibt, es also keine "klare" Idee gibt. Es gibt neue philosophische Ansätze, die hier eine Verallgemeinerung suchen, aber das ist umstritten.
      Aber bedingt durch die primäre Qualität ergibt sich das Bild der "realen Welt", an welcher auch festgehalten werden muss, auch wenn es ein Dualismus zwischen Gehirn und Materie ist.

      So. Wenn wir dann die Sachen wahrgenommen haben, überprüfen wir ob die daraus resultierenden Ideen übereinstimmen oder nicht übereinstimmen. Durch diesen Vorgang gelangen wir zur Erkenntnis und damit zur Realität - Sieht aus wie ein Tisch, ist kein Stuhl, fühlt sich tischwarm an...ist ein Tisch.

      Es gibt dann hier drei Arten von Erkenntnis:
      - Demonstrative (=rationale) Erkenntnis (Ich habe schon mal einen Tisch gesehen, der hier sieht genauso aus, also ist auch das ein Tisch)
      - sensitive Erkenntnis (und hier ist die Lücke in der Argumentation): Locke meint einfach, dass kein Mensch so dumm sein kann, an etwas zu zweifeln, was er fühlt oder sieht. Meiner Meinung nach die größte Lücke
      - intuitive Erkenntnis (wenn ich alle Ideen abgeklappert hab und nur diese eine übrigbleibt, also dass der Tisch ein Tisch ist, weil er kein Stuhl ist, dann hab ich das intuitiv erfasst)

      Durch den Verstand bekommt diese Erkenntnis dann die Einheit (Es IST ein Tisch), die es braucht um als wahr zu gelten.
      Sorry, ziemlich komplex. Ich hoff, es wurde etwas klarer.
      :(


      Mir ist halt wichtig, dass "Erkenntnis" von der "Wahrnehmung" getrennt wird durch die Reflektion über die Sache. Mit dieser aber verliere ich die Objektivität, weil ich die Sache quasi in meinen Erkenntnishorizont eintauche. Wenn ich mich hier dann dazu verleiten lasse, eine "ist" Beziehung über sinnliche Eindrücke zu postulieren, fehlt mir schlicht die Überprüfungsmöglichkeit der Aussage.


      Laut Locke ist diese Möglichkeit durch die Überprüfung von Übereinstimmung der Ideen gegeben - aber ja, du hast völlig Recht. :)
      Die Natur der Sache an sich bleibt unüberprüfbar.
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