Von der Gerechtigkeit

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    • Von der Gerechtigkeit

      Dies ist die Geschichte zweier Männer, welche unterschiedlicher nicht hätten sein können.
      Der erste Mann war ein Blinder. Aus Mitleid hatte man ihm die Schafe anvertraut. Jeden Morgen tastete er sich mit seinem Stock zur Herde und blieb dort, bis die Dorfkirche zu Abend schlug. Den Hund, der die Tiere tatsächlich bewachte, bemerkte er nie. Doch der Alte war glücklich darüber, eine Aufgabe zu erfüllen.
      Eines Tages zog der Mensch, dem die Schafe gehörten, weg und seine Tiere mit ihm. Die Dorfbewohner brachten es nicht übers Herz, dem Blinden davon zu erzählen, und so stand er denn tagein und tagaus allein vor dem Dorf auf der Wiese und bewachte das Gras und den Wind.
      Irgendwann schließlich, ohne dass man im Dorf gewusst hätte, wer es gewesen war und ob aus Bösartigkeit oder unbeholfenem Mitgefühl, hatte jemand dort, wo die Herde früher zu weiden pflegte, einige Pappschilder aufgestellt, auf die mit hartem Bleistift Schafe gemalt worden waren. Sogar an einen bleiernen Schäferhund hatte derjenige gedacht. Doch konnte man von weitem nichts weiter erkennen als dass dort mehrere Stücken Pappe auf der Wiese standen und ein Blinder daneben. Der Blinde aber hieß von diesem Tag an für alle im Dorf nur noch der „Bleischäfer“. Ein ganz Lustiger hing ihm sogar ein Pappschild um, auf dem sein neuer Name stand, wobei das viele von uns wiederum geschmacklos fanden.
      Zu der Zeit, da unser Blinder seine Bleischäfchen hütete, ging in der Gegend das Gerücht um vom zweiten Mann, dessen Geschichte dies ist. Es hieß, dieser würde des Nachts in Ställe brechen und an den Tieren seine Triebe vollziehen. Eine grässliche Sache, darin war man sich einig, und in allen umliegenden Dörfern wurden Warntafeln aufgestellt, welche vielmehr noch an Steckbriefe gemahnten; man hatte sich zu einem „tot oder lebendig“ hinreißen lassen; der berüchtigte „Beischläfer“ wurde auf Belohnung gesucht.
      Der Blinde bekam von all der Aufregung nichts mit. Seinen Schäfchen drohte keine Gefahr, und so stand er da mit seinem Schild, und nichts Böses schwante ihm. Eines Tages jedoch verirrte sich ein Kopfgeldjäger auf seine Wiese, missdeutete den Schriftzug auf dem Schild des Blinden als „Beischläfer“ und erschoss ihn. Warum der Verbrecher den Namen, den seine Häscher ihm gegeben hatten, sich auf ein Schild hätte schreiben und umhängen sollen, wusste der untröstliche bounty hunter, als man ihn später danach fragte, nicht zu sagen. Der tatsächliche Beischläfer wurde nie gefasst. Um unseren Blinden trauerte kaum einer wirklich, er hatte zum Ende hin allen nur noch Leid getan, und seine Bleischafe waren längst vom Regen hinweggerafft. Uns aber lehrte diese Geschichte einmal mehr, dass immer wieder das Böse in der Welt siegt, wohingegen die Unschuldigen grundlos in Mitleidenschaft gezogen werden.
      YO YO YO WHAT GOES